Erfolgreiche Werbung folgt einer grundlegenden psychologischen Wirkformel: Eigentlich eine einfache Formel, aber dennoch facettenreich und für Gestalter*innen immer wieder herausfordernd.
Was ist Wirkung
Fragt man 10 Menschen, was sie unter Werbewirkung verstehen, erhält man vermutlich 15 verschiedene Antworten. Als kleinsten gemeinsamen Nenner lässt sich allenfalls festhalten: Wirkung ist, wenn etwas – wie eine Werbung – mit jemandem – in diesem Fall mit dem Betrachter oder der Betrachterin – etwas macht. Am Ende der Wirk-Kette steht meist der Kauf, aber nicht immer. Wirkung bedeutet auch: Ein Gedanke, der angestoßen wird, eine Marke, an die man sich nun besser erinnert, eine Auseinandersetzung mit einem Thema, vielleicht auch nur gute Laune – es kann aber auch ein Gefühl von Langweile ‚machen‘. Auch das ist psychologisch eine Wirkung, wenn auch sicher keine, die sich die Macher*innen gewünscht haben.
Psychologisch steckt eine einfache Wirkformel dahinter, die jedem Gestalter und jeder Gestalterin geläufig ist: Wirkung bedeutet, dass eine Anzeige, ein Film oder auch nur ein Wort beim Betrachter bzw. der Betrachterin Assoziationen auslöst, und diese Assoziationen an etwas Bedeutungsvolles ‚in‘ ihr oder ihm ‚andocken‘. Wirkung passiert nie im luftleeren Raum. Werbung ist immer ein Dialog zwischen Betrachter*in und Werbung. Gelungene Werbung spricht etwas an, das ‚im‘ Betrachter schon angelegt ist und für sie oder ihn relevant ist: Lebenserfahrungen, Vorstellungsbilder, Wunschbilder, Sehnsüchte, oder auch Sorgen oder Ängste.
Damit ist Wirkung im Übrigen auch etwas anderes als Aufmerksamkeit. Natürlich ist Aufmerksamkeit auch eine Form von Wirkung (auch dann ‚macht‘ Werbung etwas mit mir), aber nur eine sehr spezielle Form von Wirkung: Eine aufmerksamkeitsstarke Werbung bringt mich zunächst nur dazu, mich der Werbung zuzuwenden. Was sie aber letztendlich für Assoziationen bei mir auslöst, und ob diese Assoziationen an etwas für mich Wichtiges anknüpfen, ist damit noch lange nicht ausgemacht.
Dimensionen der Wirkung
Nennen wir das, woran Werbung ‚andocken‘ kann, die Lebenserfahrungen der Nutzer*innen. Dies umfasst alles, was Konsument*innen mitbringen, ihre Erinnerungen, Gedanken, Gefühle, Überzeugungen, Sehnsüchte etc., die mal bewusster, mal unterschwelliger sein können. Um Werbung gezielt nach der Wirkformel auszurichten und zu steuern, kann man sich klar machen, dass es solche Lebenserfahrungen auf verschiedenen Dimensionen gibt. Es gibt Lebenserfahrungen, die wir mit allen Menschen dieses Planeten teilen, einfach weil wir alle zur Spezies Homo Sapiens Sapiens gehören – wir alle haben Erfahrungen mit Freundschaft, Liebe oder auch dem Tod gemacht. Je enger die Dimensionen dann werden, umso kleiner ist die Menge an Menschen, mit denen wir unsere Lebenserfahrungen teilen.
Es lassen sich fünf solcher Dimensionen unterscheiden:
- Die menschliche Dimension: Dies sind die erwähnten Lebensthemen, die uns alle angehen. Klingen im Assoziationsraum zwischen Werbung und Betrachter*in diese Themen an, wird man damit alle Menschen erreichen. In gewisser Weise muss jede erfolgreiche Werbung solche grundlegenden Themen mitbewegen, ob nun eine Versicherung auf Vertrauen, Sicherheit oder Freundschaft setzt, oder ein Elektromarkt die uns alle innewohnende Gier anspricht. Auch die Archetypen spielen meist in dieser Liga, wenn z.B. ein Baumarkt eine kleine Held*innengeschichte mit Augenzwinkern erzählt.
- Die kulturelle und Zeitgeistdimension: Dies sind die Lebenserfahrungen, die wir z.B. mit allen Teilnehmern einer bestimmten Kultur und Gesellschaft in einer bestimmten Zeitperiode teilen. Aus diesem Grund sind auch einige Marken nach der deutschen Wiedervereinigung mit ihrer Werbung gehörig auf die Nase gefallen. Erinnern Sie sich noch an die Werbung für die Sektmarke Deinhard mit der Frau, die übermütig auf einem Schlagzeug spielt, dabei eine Trommel zertrümmert und laut fragt: „Wo ist der Deinhard?“ – und wie diese westliche Dekadenz bei ostdeutschen Frauen ankam?
- Die Zielgruppendimension: Hier wird der Wirkradius schon etwas enger, wenn Werbung an Lebenserfahrungen andockt, die nur Frauen, Männer, Senioren, Städter oder Hippster bewegt. Möchte man z.B. heute Medizin-Produkte an Senioren verkaufen, sollte man von blassen, beigefarbenen und klinisch anmutenden Bildern Abstand nehmen, weil diese nicht zu den positiv besetzten Lebenserfahrungen und Wunschbilder der Zielgruppe gehören.
- Die Produktdimension: Wenn Menschen Auto fahren, fernsehen, Bier trinken, einen Urlaub buchen oder ihr Mobiltelefon nutzen, unterscheiden sich die Lebenserfahrungen, die man als Gestalter*in gezielt aufgreifen kann. In der Werbung ist dies oft die wichtigste Dimension: Die Motive, Erfahrungen und Stimmungen bei der Verwendung bestimmter Produkte sollte man als Gestalter*in genau kennen. Innerhalb dieser Motive lässt sich auch am besten eine Marke positionieren. Setzen alle Premium-Biermarken auf kultivierte Bilder (und sprechen damit ein wichtiges Motiv bei der Produktverwendung an), sticht man mit einem Saufbier und dem Setzen auf ein anderes Motiv innerhalb desselben Produktbereichs deutlich heraus. „Was dagegen?“
- Die situative Dimension: Das betrifft Werbung, die nur an bestimmten Orten oder zu bestimmten Zeiten, wie z.B. Weihnachten, relevante Erfahrungen adressiert. Auch zu Corona-Zeiten ist diese Dimension nicht unwichtig (obwohl sie langsam bereits zu einer kulturellen/Zeitgeist-Erfahrung wird). Werbung, die eine ausgelassene Gesellschaft zeigt, wirkt momentan zumindest komisch.
Gute Werbung schafft es übrigens, auf allen fünf Dimensionen zugleich relevante Lebenserfahrungen anzusprechen. Das muss natürlich alles stimmig und glaubwürdig zusammenpassen und ist für die Kreation keine leichte Aufgabe. Forschung an Konsument*innen im Vorfeld — wie mit unserem Design Guide — hilft jedenfalls, sich bei den relevanten Lebenserfahrungen als auch die damit verbundenen Bildern, Stimmungen, Farben oder Stilen etwas sicherer bei der Kreation zu fühlen.
Gelungene Werbung ist natürlich noch von vielen weiteren Faktoren abhängig. Die Beherzigung dieser grundlegenden Wirkformel ist allerdings in vielen Fällen schon die halbe Miete. (mehr zum Thema finden Sie auch in unserem Buch „Wie Design wirkt“)