Bricolage, selbst ist der Mensch

Lese­zeit: 4 Minu­ten

Der Trend zum Selbst­ma­chen und wie er für neue Ange­bots­ideen im eige­nen Unter­neh­men genutzt wer­den kann.

Bau­märkte sind schon län­ger im Trend. Sie haben aber im Corona-Lock­down noch ein­mal einen kräf­ti­gen Schub nach vorne gemacht. Etwas im wahrs­ten Sinne des Wor­tes selbst in die Hand zu neh­men und das eigene Werk dann stolz zu betrach­ten – auch wenn es schief und unper­fekt gewor­den ist – berei­tet das gute Gefühl von Selbst­wirk­sam­keit. Das kom­pen­siert nicht nur Ohn­machts­ge­fühle in außer­ge­wöhn­li­chen Kri­sen­si­tua­tio­nen. Es setzt auch dem all­täg­li­chen Hams­ter­rad, in dem man funk­tio­nie­ren muss, Selbst­ge­schaf­fe­nes entgegen.

Der Auf­wind von „Bri­co­lage“ – wie es Franz Liebl, Pro­fes­sor für stra­te­gi­sches Mar­ke­ting ein­mal nannte – könnte auch wie­der abflauen. Wer aber ein­mal das befrie­di­gende Gefühl von Selbst­wirk­sam­keit erlebt hat, wird sich auch in Zukunft danach seh­nen. Bau­märkte oder Geschäfte für Bas­tel­uten­si­lien müs­sen nur ihre Regale fül­len, um den Trend auf­zu­grei­fen. Aber wie kön­nen andere Bran­chen dar­auf reagie­ren und vom Trend profitieren? 

Bri­co­lage-Arten und Tipps

Frü­her hieß es ein­mal „Selbst ist der Mann“. Unge­ach­tet des­sen, dass auch Hand­ar­beit, Kochen und Deko­rie­ren – frü­her typi­sche Frau­en­sa­chen – ebenso schöp­fe­risch sind wie Möbel bauen oder am Auto schrau­ben, sind heute (laut Han­dels­ver­band Heim­wer­ken, Bauen und Gar­ten e.V.) rund 50 % der Kund*innen weib­lich und ver­wei­len sogar län­ger in Bau­märk­ten als Män­ner. Man­cher­orts, z.B. in Wup­per­tal, haben Bau­haus-Ket­ten „Women’s Night, ran an die Bohr­ma­schine!“- Kurse für Frauen ein­ge­rich­tet, die sich gro­ßer Beliebt­heit erfreuen. Von der Stu­den­tin bis zur Rent­ne­rin möch­ten Frauen ler­nen, wie man auch mit Holz, Metall, Beton und nicht nur mit Fein­wolle und Zucker­guss selbst Hand anlegt. 

Tipp 1: Frauen und ver­schie­dene Alters­grup­pen wer­den als Kund*innen für das Heim­wer­ken oft noch unter­schätzt. Mit ihren ggf. ande­ren Bedürf­nis­sen und Vor­lie­ben bie­ten diese Ziel­grup­pen viele Mög­lich­kei­ten, sie mit neuen Ideen zu gewinnen.

Seit Lock­down-Zei­ten wird man mor­gens schon mit Säge- und Häm­mer­ge­räu­schen geweckt. Da lobt man sich die geräusch­freien Tätig­kei­ten, die ebenso an Beliebt­heit gewon­nen haben. Puz­zeln ist im Trend, beson­ders die schwe­ren mit vie­len Tei­len. Ein Spre­cher des Spie­le­her­stel­lers Ravens­bur­ger nennt die der­zei­tige Nach­frage nach Puz­zles „hef­tigst“. Als psy­cho­lo­gi­sches Motiv dafür lässt sich ver­mu­ten, dass die Men­schen eine aus den Fugen gera­tene Struk­tu­rie­rung des All­tags beim Puz­zeln sym­bo­lisch wie­der in den Griff bekom­men wol­len. Schon in der Welt­wirt­schafts­krise (1933) ver­fie­len viele Amerikaner*innen der Puzzle-Manie. 

Tipp 2: Ideen, die auch ein Ergeb­nis ermög­li­chen, auf das man stolz sein kann, weil man etwas erfolg­reich geschafft und geschaf­fen hat, bie­ten einen beson­de­ren Mehrwert.

Gefun­dene Steine bunt malen und bemalt wie­der drau­ßen aus­zu­wil­dern, ist der neuste Hit, und hat sich als eine Art Fern-Kom­mu­ni­ka­tion eta­bliert. Man sen­det mit den bemal­ten Moti­ven auf den Stei­nen Bot­schaf­ten an glück­li­che Fin­der. Das hat auch etwas von Fla­schen­post von der ein­sa­men Insel oder dem ein­sa­men Bal­kon, oder den gehei­men Zei­chen von Land­strei­chern, die damit ihre Soli­da­ri­tät als Schick­sals­ge­mein­schaft unter­strei­chen. Lachende Gesich­ter, Blu­men, Mari­en­kä­fer, aber auch mal das ACDC-Logo – der Krea­ti­vi­tät sind keine Gren­zen gesetzt – erfreuen Gestalter*innen wie Finder*innen und set­zen damit ein Gemein­schafts­werk des selbst­lo­sen Schen­kens und Beschenkt­wer­dens in Szene. 

Tipp 3: Es geht nicht nur um Selbst­wirk­sam­keit, son­dern auch um kol­lek­ti­ves Mit­ein­an­der und die Gewiss­heit, Mitstreiter*innen für ein gemein­sa­mes Werk oder Inter­esse zu finden.

Auch Brot­back­au­to­ma­ten sind schon län­ger beliebt. Doch wer hätte damit gerech­net, dass irgend­wann ein­mal Mehl und Hefe Man­gel­ware sein wer­den? Brot ist ein Sym­bol für etwas Lebens-Grund­le­gen­des, so dass Brot­ba­cken psy­cho­lo­gisch Rich­tung Selbst­ver­sor­gung ten­diert. Bäcke­reien hat­ten zwar bis­her noch kei­nen Ange­bots-Eng­pass, aber Unab­hän­gig­keit ist ein schö­nes Gefühl. Hier gibt es auch Über­schnei­dun­gen zum Trend Nach­hal­tig­keit. Wenigs­tens das Brot soll öko­lo­gisch mit wert­vol­len Zuta­ten und Liebe geba­cken sein, und nicht dem Moloch der Indus­trie­fer­ti­gung, die uns über­le­bens-abhän­gig macht, über­las­sen werden.

Tipp 4: Wir leben noch fernab von dys­to­pi­schen Sci­ence Fic­tion Sze­na­rien á la Mad Max oder den Akti­vi­tä­ten des Sur­vi­val-Coa­ches Rüdi­ger Neber­ger. Den­noch geht es beim Bri­co­lage-Trend auch immer unbe­wusst um Über­le­bens­tech­ni­ken und Unabhängigkeit.

Den Trend für neue Ange­bots­ideen in ver­schie­de­nen Bran­chen aufgreifen

Grund­sätz­lich gilt zu beden­ken, dass man die Men­schen nicht über­for­dern sollte. Sie wol­len Erfolgs­er­leb­nisse und kei­nen Frust des Schei­terns. Plant man Ange­bote, bei denen die Nutzer*innen noch in irgend­ei­ner Weise selbst Hand anle­gen müs­sen, sollte man ggf. ver­schie­dene Schwie­rig­keits­stu­fen anbie­ten und diese kenn­zeich­nen. Es geht auch nicht darum, dass die Kund*innen das, was sie sonst als Ser­vice­leis­tung erhal­ten, jetzt selbst machen müssen.

Im Fol­gen­den gibt es wei­tere Ideen­an­re­gun­gen. Für die Ent­wick­lung von kon­kre­te­ren Ideen, bie­tet es sich an, zuvor mit Konsument*innen über ihre Vor­stel­lun­gen und Vor­lie­ben zu spre­chen, z.B. in spe­zi­el­len Work­shops. Hier las­sen sich gezielt die jewei­li­gen Bedürf­nisse bezo­gen auf eine bestimmte Bran­che, Pro­dukt­gruppe oder Marke ermitteln.

Ansätze für Ideen

Anders­ver­wen­dung oder gar Zweck­ent­frem­dung von Pro­duk­ten wird von man­chen krea­ti­ven Nut­zern ohne­hin prak­ti­ziert. Ande­ren kann man Anre­gun­gen oder sogar kleine Anlei­tun­gen für mög­li­che Anders­ver­wen­dun­gen der eige­nen Pro­dukte bie­ten. Pro­dukte kön­nen auch gleich so gestal­tet wer­den, dass sie sich für andere Ver­wen­dun­gen eig­nen und sich leicht umge­stal­ten lassen.

Bau­kas­ten­sys­teme, die indi­vi­du­ell kon­fi­gu­rier­bar sind, ent­spre­chen noch nicht ganz dem Selbst­bas­teln. Man kann aber auch nur die Zuta­ten lie­fern, wie bei Pro­duk­ten die das Selbst-Kochen und ‑Backen nur unter­stüt­zen, und Tipps für das Selbst­ge­stal­ten geben.

Open source kennt man aus dem Soft­ware­be­reich. Nutzer*innen kön­nen das Pro­dukt selbst ver­bes­sern, aus­wei­ten oder auch ein­fach nur deko­ra­tiv ver­schö­nern. Viel­leicht lässt sich das Prin­zip auch auf die eige­nen Pro­dukte oder Dienst­leis­tun­gen übertragen.

Man kann das Selbst­bauen von Zusatz­tei­len anre­gen, und die Pro­dukte dafür vor­be­rei­ten, z.B. eine Wasch­mit­tel­hal­te­rung für Wasch­ma­schi­nen. Der Her­stel­ler kann auch schon vor­sorg­lich Bohr­lö­cher mit Schraub­ge­win­den für die Mon­tage eige­ner Krea­tio­nen einarbeiten.

Im Zuge des Nach­hal­tig­keits­trends las­sen sich auch Ver­pa­ckun­gen von Pro­duk­ten so gestal­ten, dass sie sich zur Zweit­ver­wen­dung oder als Bas­tel­ma­te­rial eig­nen. Auch hier hel­fen Bas­tel­tipps des Herstellers. 

Durch die Unter­neh­mens­kom­mu­ni­ka­tion lässt sich das Gestal­ten för­dern, indem Wett­be­werbe aus­ge­ru­fen, Online Chal­lenges ver­an­stal­tet oder „How to“-Filme pro­du­ziert wer­den. Viel­leicht wird Bas­tel­fans auch eine Online Com­mu­nity-Platt­form zur Ver­fü­gung gestellt, auf der sie sich aus­tau­schen und gegen­sei­tig Tipps geben kön­nen, aber auch immer wie­der Pro­fi­tipps vom Unter­neh­men bekommen.

(die­ser Blog­post greift einen der 8 Trends für das neue Nor­mal auf, die wir in unse­ren Inter­views feststellen)

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