Plädoyer für mehr KI-Kompetenz

Lese­zeit: 7 Minu­ten

Gene­ra­tive KI kann For­scher und Krea­tive an vie­len Stel­len unter­stüt­zen. Für den gewinn­brin­gen­den pro­fes­sio­nel­len Ein­satz ist hier­für aber KI-Kom­pe­tenz essen­ti­ell. In die­sem Bei­trag soll es um die Frage gehen: Was ist KI-Kom­pe­tenz und wie lässt sie sich schulen? 

Unser letz­ter Blog-Arti­kel vom Sep­tem­ber 2023 über „KI in Markt­for­schung und Inno­va­tion“ war noch als „Expe­ri­ment“ beti­telt. Inzwi­schen wäre der Begriff „Inte­gra­tion“ rich­ti­ger, denn gene­ra­tive KI ist für uns zu einem selbst­ver­ständ­li­chen Werk­zeug sowohl im For­schungs- wie im Krea­ti­ons­pro­zess gewor­den: ChatGPT, Whisper, Mid­jour­ney, Fire­fly, Flux, Run­way, Krea, Luma, Suno, und bestimmt noch einige mehr. Zugleich erle­ben wir, dass rund um das Thema immer noch viele Mythen, über­zo­gene Erwar­tun­gen und auch eini­ges an Bull­shit kur­sie­ren. Wir plä­die­ren daher für etwas mehr KI-Kom­pe­tenz – und wol­len in die­sem Bei­trag danach fra­gen, was denn KI-Kom­pe­tenz aus­macht und wie man sie erlangt.

Der Begriff „KI-Kom­pe­tenz“ ist bewusst in Ana­lo­gie zum schon lange bestehen­den Kon­zept der „Medi­en­kom­pe­tenz“ gewählt. Medi­en­kom­pe­tenz ist das, was wir im Umgang mit Social Media und Fake News for­dern, was wir unse­ren Kin­dern bei­brin­gen möch­ten, und wir zuwei­len an Jugend­li­chen bewun­dern — oder wahl­weise bemän­geln. Gemeint ist damit nicht etwa Skep­sis, Angst oder der Rück­zug z.B. aus sozia­len Medien, son­dern – im Gegen­teil – eine erwach­sene, reflek­tierte, kri­ti­sche Hal­tung den Medien gegen­über, Quel­len zu hin­ter­fra­gen, nach­zu­den­ken, bevor dubiose Posts wei­ter­ver­brei­tet wer­den, oder sich schlau zu machen über die Funk­ti­ons­weise von Algo­rith­men oder auch die Absich­ten und Inter­es­sen der Absen­der bestimm­ter Meldungen.

KI-Kom­pe­tenz lässt sich durch­aus ana­log dazu sehen: Kri­tisch zu prü­fen, wel­cher Ein­satz wel­cher Werk­zeuge an wel­chen Stel­len sinn­voll und ziel­füh­rend ist – und wel­cher nicht oder eine Extra­por­tion Vor­sicht ange­bracht ist. Sie ermög­licht es, die neuen Tools gewinn­brin­gend ein­zu­set­zen – und sie schützt davor, Nar­ra­ti­ven über KI zu unkri­tisch auf­zu­sit­zen. Sie ist aber noch nicht im glei­chen Maß aus­ge­bil­det, wie wir uns das von der Medi­en­kom­pe­tenz zumin­dest ein­re­den. Für viele ist KI noch Neu­land, und das macht uns (noch) anfäl­lig für Geschich­ten und Ver­spre­chun­gen, die der Rea­li­tät nicht stand­hal­ten, und uns teils aus hand­fes­ten finan­zi­el­len Inter­es­sen, teils aus Unkennt­nis oder teils auch aus nach­voll­zieh­ba­ren psy­cho­lo­gi­schen Grün­den ver­kauft wer­den. Die gegen­tei­lige Hal­tung zur KI-Kom­pe­tenz möch­ten wir den KI-Hype nen­nen (ja, der ist noch immer nicht totzukriegen).

Was macht KI-Kom­pe­tenz nun aus? Aus unse­rer Erfah­rung – das ist die Per­spek­tive der psy­cho­lo­gi­schen For­schung und der Krea­tion – sind es im Wesent­li­chen drei simple Dinge, die uns für den pro­fes­sio­nel­len Ein­satz gene­ra­ti­ver KI rüsten:

Grundlegendes Knowhow zur Funktionsweise generativer KI und zur Psychologie des Umgangs mit KI

Natür­lich haben wir uns alle damit beschäf­tigt. Wir alle haben vom „sto­chas­ti­schen Papa­gei“ gehört oder gele­sen. Den­noch ver­liert man schnell aus den Augen, was dies genau bedeu­tet. Das soge­nannte „Hal­lu­zi­nie­ren“ bei ChatGPT oder die Pro­duk­tion von Ste­reo­ty­pen bei bild-gene­rie­ren­den Pro­gram­men sind keine uner­wünsch­ten Neben­ef­fekte, die irgend­wann ver­schwin­den, son­dern kon­sti­tu­ie­ren­der Teil des Designs gene­ra­ti­ver KI. Der Out­put beruht nie auf einem irgend­wie gear­te­ten Ver­ständ­nis der Auf­gabe, son­dern ist immer das Ergeb­nis eines Aus­wahl­pro­zes­ses von Tokens, der auf Wahr­schein­lich­kei­ten basiert, abge­lei­tet aus den Trai­nings­da­ten. Ohne diese kon­trol­lierte (je nach „Tem­pe­ra­tur“ mehr oder weni­ger varia­ble), d.h. auf Wahr­schein­lich­kei­ten basie­rende Zufäl­lig­keit wäre es keine „gene­ra­tive“ KI, die Ant­wor­ten wären nicht flüs­sig und plau­si­bel und das Modell für unsere Zwe­cke unbrauchbar.

Dies zeigt Stär­ken und Schwä­chen von Ein­satz­mög­lich­kei­ten gene­ra­ti­ver KI recht prä­zise auf. Für das Ver­fas­sen eines Social Media Posts ist sie ein unschätz­ba­res Hilfs­mit­tel, weil hier die Stär­ken der kon­trol­lier­ten Zufäl­lig­keit voll aus­ge­spielt wer­den kön­nen. Im Bereich der For­schung gilt dies auch (bereits mit Abstri­chen) für Tran­skrip­tion, das Zusam­men­fas­sen von Berichts­bän­den und viele andere Auf­ga­ben. Für die Aus­wer­tung eines Tie­fen­in­ter­views ist sie jedoch weni­ger geeig­net, weil es hier auf Ver­ste­hen ankommt, und nicht auf Wahr­schein­lich­kei­ten und augen­schein­li­cher Plau­si­bi­li­tät, und zudem atmo­sphä­ri­sche und zwi­schen­mensch­li­che Dyna­mi­ken wich­ti­ger sind als die im Inter­view pro­du­zier­ten Texte. Für die Her­stel­lung von Test­ma­te­rial – Bil­dern oder Claims – ist sie her­vor­ra­gend geeig­net, solange einem keine ganz bestimm­ten und kom­ple­xe­ren Bild­mo­tive vor­schwe­ben, und man selbst die Bild-Idee hat.

Ebenso muss man sich immer wie­der klar machen, dass wir Men­schen durch unse­ren evo­lu­tio­nä­ren Hin­ter­grund so gestrickt sind, dass wir uns durch die­ses Prin­zip bei­nahe auto­ma­tisch täu­schen las­sen. Weil wir Men­schen sind, erle­ben wir Text­pro­duk­tio­nen der KI instink­tiv als „Äuße­run­gen“ eines quasi-leben­di­gen Wesens, zumal, wenn sie flüs­sig und plau­si­bel daherkommen.

KI-Kom­pe­tenz schützt dann davor, z.B. alles von ChatGPT unkri­tisch zu „glau­ben“. Sie lässt vor­sich­tig wer­den etwa beim Ein­satz des kon­trol­lier­ten Zufalls­prin­zips als Ersatz für die Befra­gung von Men­schen. „Syn­the­ti­sche Daten“ ist hier das Stich­wort. Auch wenn die befrag­ten syn­the­ti­schen “Test­per­so­nen” mit Mate­rial aus ech­ten Befra­gun­gen gefüt­tert wer­den, greift bei der “Ver­län­ge­rung” die­ser Basis wie­der das Prin­zip der kon­trol­lier­ten Zufäl­lig­keit und der Wahr­schein­lich­keit. Daher wirkt das, was dabei her­aus­kommt, auf uns höchst plau­si­bel, und auf das Plau­si­ble und Nahe­lie­gende fal­len wir Men­schen gerne her­ein (auch das, weil wir Men­schen sind, und als sol­che sinn­hafte Geschich­ten lie­ben, davon lebt auch das Sto­rytel­ling). Doch ist nicht gerade in der For­schung die Über­ra­schung und damit die Über­schrei­tung des Nahe­lie­gen­den das, was sie so span­nend macht, und nicht eigent­lich ihre Exis­tenz­be­rech­ti­gung? Vor allem in der psy­cho­lo­gi­schen For­schung steckt im Abwei­chen­den und Nicht-Vor­her­ge­sag­ten meist das Gold der Erkennt­nis. Da geht es auch nicht um die letz­ten 5% Zusatz­er­kennt­nis, son­dern meist um den Kern der Sache.

Ähn­li­ches gilt für inter­ak­tive KI-Ava­tare oder KI-Per­so­nas, sofern sie in der For­schung als Ersatz für die Gene­rie­rung oder Anrei­che­rung von Insights oder für Insights-basierte Ideen­ent­wick­lung ein­ge­setzt wer­den: Wenn sie mehr sein sol­len als eine „spre­chende Daten­bank“ bestehen­der Stu­dien, also die Stär­ken der kon­trol­lier­ten Zufäl­lig­keit aus­spie­len sol­len (z.B. durch die Ver­bin­dung mit einem trai­nier­ten LLM), wer­den sie eben die Daten aus dem Trai­nings­ma­te­rial plau­si­bel „anrei­chern“ (auf Plau­si­bi­li­tät beruht im übri­gen auch der Turing-Test: klingt das, was das Modell aus­gibt, “wie ein Mensch”?). Kann man machen, man sollte sich aber klar dar­über sein, dass es schwer sein wird, zu beur­tei­len, wie gut sie die Rea­li­tät simu­lie­ren oder nicht, auch – oder gerade – wenn sie plau­si­bel klin­gen. Jeden­falls sollte man bes­ser keine wich­ti­gen stra­te­gi­schen Ent­schei­dun­gen dar­auf fußen.

Zur Logik des Hypes gehört auch der stän­dige Ver­weis auf die Zukunft. „Künf­tig“ oder „schon bald“ werde die­ses oder jenes mög­lich sein (das hat KI wohl mit der Kern­fu­sion gemein­sam). Jeden­falls ist der­zeit nichts in Sicht, das dafür sprä­che, dass ganz neue For­men gene­ra­ti­ver KI die prin­zi­pi­el­len, auf dem Prin­zip der Wahr­schein­lich­kei­ten basie­ren­den Begren­zun­gen über­win­den. Die Ver­bes­se­run­gen im ers­ten Jahr waren rasant. Danach flachte es schon ab, und ob das Droh­ge­spenst des KI-Inzest (KI lernt zuneh­mend von KI-gene­rier­ten Inhal­ten) nicht das Qua­li­täts­pro­blem, dass sich einige Bran­chen gerade ein­han­deln, nicht noch ver­schär­fen wird, lässt sich auch nicht absehen.

Kritische Bewertung des Mehrwerts generativer KI aus Sicht einer bestimmten Profession

Möchte ich beur­tei­len, wie gut mich gene­ra­tive KI in mei­nen pro­fes­sio­nel­len Pro­zes­sen unter­stüt­zen kann, muss ich mich nicht nur mit der Funk­ti­ons­weise und den Stär­ken und Schwä­chen von KI aus­ein­an­der­set­zen. Fast noch wich­ti­ger ist es, dass ich mich mit den Pro­zes­sen aus­kenne, die KI erset­zen oder unter­stüt­zen soll!  Das klingt jetzt banal, ist es aber nicht. Wenn ich kein psy­cho­lo­gi­scher For­scher bin, kann ich auch nicht ein­schät­zen, wie und wo sie ihren Mehr­wert in der psy­cho­lo­gi­schen For­schung ent­fal­ten kann. Wenn ich kein pro­fes­sio­nel­ler Krea­ti­ver bin, kann ich nicht ein­schät­zen, ob und wie KI mir bei der Krea­tion einer Anzeige oder eines Wer­be­films hel­fen kann.

Banal ist die­ser Punkt auch des­we­gen nicht, weil nicht wenige KI-Exper­ten dies pro­pa­gie­ren, obwohl sie nichts von den Pro­zes­sen ver­ste­hen, für die sie KI als Heils­brin­ger ver­kau­fen wol­len. Da wer­den z.B. von Ver­tre­tern aus Mar­ke­ting oder Markt­for­schung durch das Prin­zip der kon­trol­lier­ten Zufäl­lig­keit belie­bige Wer­be­an­zei­gen geschaf­fen, die sie für irgend­wie schick und „krea­tiv“ hal­ten – ohne zu wis­sen, wor­auf es bei der Krea­tion ankommt. Desi­gner oder Film­pro­du­zen­ten möch­ten i.d.R. ein ganz bestimm­tes Ergeb­nis pro­du­zie­ren, eine ganz bestimmte Stim­mung, eine ganz bestimmte Flä­chen­kom­po­si­tion, einen bestimm­ten Gesichts­aus­druck etc., oder sie haben Design­pro­bleme zu lösen, etwa drei wich­tige Bot­schaf­ten in ein ein­zi­ges Bild unter­zu­brin­gen, das aber den­noch stim­mig und nicht über­la­den sein soll. Ein Wer­be­mit­tel soll bei der rich­ti­gen Ziel­gruppe wir­ken, das Cor­po­rate Design des Unter­neh­mens erkenn­bar machen, stra­te­gi­sche Ziele errei­chen und bei den Kun­den ankom­men. Jeden­falls, KI-Kom­pe­tenz, wie sie hier skiz­ziert wird, schützt vor solch über­grif­fi­gen All­machts­phan­ta­sien. Wir kämen auch nicht auf die Idee, einer Che­mi­ke­rin zu erklä­ren, wie sie KI ein­set­zen soll.

Praktischer Einsatz generativer KI in konkreten und realen Projekten 

Drit­ter und ver­mut­lich wich­tigs­ter Aspekt der KI-Kom­pe­tenz ist die Pra­xis. Ein­fach machen, und zwar nicht nur aus­pro­bie­ren oder damit „her­um­spie­len“, son­dern KI kon­kret in rea­len Pro­jek­ten in sei­ner eige­nen Pro­fes­sion (s. Punkt 2) ein­set­zen. Natür­lich muss man dazu erst ein­mal vie­les tes­ten, aus­pro­bie­ren, und sich ggf. bei dem einen oder ande­ren Tool auch schu­len las­sen – und bei der Viel­zahl an Werk­zeu­gen kann dies auch auf Dauer ins Geld gehen. Der prak­ti­sche und pro­fes­sio­nelle Ein­satz trennt dann aber schnell die Spreu vom Weizen. 

Hier jetzt alle Erfah­run­gen auf­zu­füh­ren, die wir mit KI-Werk­zeu­gen in For­schung und Ent­wick­lung gemacht haben, würde den Rah­men eines Blog­bei­trags spren­gen. Exem­pla­risch wol­len wir dies am Bei­spiel Film­pro­duk­tion auf­zei­gen – und da wir an die­ser Stelle den Lesern bereits genü­gend Text zuge­mu­tet haben und weil es im Bereich Krea­tion Usus ist, Ergeb­nisse zu zei­gen anstatt dar­über zu tex­ten, ver­wei­sen wir auf „Eddi’s Jour­ney“ (Sound einschalten!):

Der Film stellt einige unse­rer Use Cases für KI vor, und er „zeigt“ zugleich, was mit KI bei der Film­pro­duk­tion mög­lich ist – und an wel­chen Stel­len „her­kömm­li­che“ pro­fes­sio­nelle Pro­gramme bes­sere Ergeb­nisse lie­fern. So wurde Eddi selbst mit einem 3D-Pro­gramm erstellt. Sämt­li­che KI-Tools waren mit der ein­fa­chen geo­me­tri­schen Form über­for­dert. Das Ver­ar­bei­ten der drei Kugel­seg­mente, aus denen Eddi besteht, würde eine Art von Gestal­ter­ken­nung erfor­dern. Unschlag­bar ist die Soft­ware Luma hin­ge­gen, wenn es darum geht, eine Figur zu mor­phen. Hier kann das Prin­zip der Wahr­schein­lich­keit, nach der ein­zelne Pixel auf­ein­an­der fol­gen, schöne Effekte erzeugen.

Andere Spe­cial Effects lie­ßen sich mit Adobe After Effects schnel­ler und bes­ser gene­rie­ren. Die Musik ist teil-KI-gene­riert. Ab Minute 01:08 über­nimmt Suno und „ver­län­gert“ einen eige­nen Track. Einige Real­sze­nen sind KI-gene­riert, bei ande­ren war es ein­fa­cher, eine Szene aus einer Stock­da­ten­bank zu verwerten.

Wir sind jeden­falls opti­mis­tisch, dass KI-Kom­pe­tenz wei­ter zuneh­men und schon bald die Hype-Phase end­gül­tig ablö­sen wird. Nicht aus Ernüch­te­rung, son­dern im Gegen­teil: Nur mit einer kom­pe­ten­ten Hal­tung las­sen sich die wun­der­ba­ren Mög­lich­kei­ten gene­ra­ti­ver KI voll aus­schöp­fen und gewinn­brin­gend in Unter­neh­men nutzen. 🙂

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