Generative KI kann Forscher und Kreative an vielen Stellen unterstützen. Für den gewinnbringenden professionellen Einsatz ist hierfür aber KI-Kompetenz essentiell. In diesem Beitrag soll es um die Frage gehen: Was ist KI-Kompetenz und wie lässt sie sich schulen?
Unser letzter Blog-Artikel vom September 2023 über „KI in Marktforschung und Innovation“ war noch als „Experiment“ betitelt. Inzwischen wäre der Begriff „Integration“ richtiger, denn generative KI ist für uns zu einem selbstverständlichen Werkzeug sowohl im Forschungs- wie im Kreationsprozess geworden: ChatGPT, Whisper, Midjourney, Firefly, Flux, Runway, Krea, Luma, Suno, und bestimmt noch einige mehr. Zugleich erleben wir, dass rund um das Thema immer noch viele Mythen, überzogene Erwartungen und auch einiges an Bullshit kursieren. Wir plädieren daher für etwas mehr KI-Kompetenz – und wollen in diesem Beitrag danach fragen, was denn KI-Kompetenz ausmacht und wie man sie erlangt.
Der Begriff „KI-Kompetenz“ ist bewusst in Analogie zum schon lange bestehenden Konzept der „Medienkompetenz“ gewählt. Medienkompetenz ist das, was wir im Umgang mit Social Media und Fake News fordern, was wir unseren Kindern beibringen möchten, und wir zuweilen an Jugendlichen bewundern — oder wahlweise bemängeln. Gemeint ist damit nicht etwa Skepsis, Angst oder der Rückzug z.B. aus sozialen Medien, sondern – im Gegenteil – eine erwachsene, reflektierte, kritische Haltung den Medien gegenüber, Quellen zu hinterfragen, nachzudenken, bevor dubiose Posts weiterverbreitet werden, oder sich schlau zu machen über die Funktionsweise von Algorithmen oder auch die Absichten und Interessen der Absender bestimmter Meldungen.
KI-Kompetenz lässt sich durchaus analog dazu sehen: Kritisch zu prüfen, welcher Einsatz welcher Werkzeuge an welchen Stellen sinnvoll und zielführend ist – und welcher nicht oder eine Extraportion Vorsicht angebracht ist. Sie ermöglicht es, die neuen Tools gewinnbringend einzusetzen – und sie schützt davor, Narrativen über KI zu unkritisch aufzusitzen. Sie ist aber noch nicht im gleichen Maß ausgebildet, wie wir uns das von der Medienkompetenz zumindest einreden. Für viele ist KI noch Neuland, und das macht uns (noch) anfällig für Geschichten und Versprechungen, die der Realität nicht standhalten, und uns teils aus handfesten finanziellen Interessen, teils aus Unkenntnis oder teils auch aus nachvollziehbaren psychologischen Gründen verkauft werden. Die gegenteilige Haltung zur KI-Kompetenz möchten wir den KI-Hype nennen (ja, der ist noch immer nicht totzukriegen).
Was macht KI-Kompetenz nun aus? Aus unserer Erfahrung – das ist die Perspektive der psychologischen Forschung und der Kreation – sind es im Wesentlichen drei simple Dinge, die uns für den professionellen Einsatz generativer KI rüsten:

Grundlegendes Knowhow zur Funktionsweise generativer KI und zur Psychologie des Umgangs mit KI
Natürlich haben wir uns alle damit beschäftigt. Wir alle haben vom „stochastischen Papagei“ gehört oder gelesen. Dennoch verliert man schnell aus den Augen, was dies genau bedeutet. Das sogenannte „Halluzinieren“ bei ChatGPT oder die Produktion von Stereotypen bei bild-generierenden Programmen sind keine unerwünschten Nebeneffekte, die irgendwann verschwinden, sondern konstituierender Teil des Designs generativer KI. Der Output beruht nie auf einem irgendwie gearteten Verständnis der Aufgabe, sondern ist immer das Ergebnis eines Auswahlprozesses von Tokens, der auf Wahrscheinlichkeiten basiert, abgeleitet aus den Trainingsdaten. Ohne diese kontrollierte (je nach „Temperatur“ mehr oder weniger variable), d.h. auf Wahrscheinlichkeiten basierende Zufälligkeit wäre es keine „generative“ KI, die Antworten wären nicht flüssig und plausibel und das Modell für unsere Zwecke unbrauchbar.
Dies zeigt Stärken und Schwächen von Einsatzmöglichkeiten generativer KI recht präzise auf. Für das Verfassen eines Social Media Posts ist sie ein unschätzbares Hilfsmittel, weil hier die Stärken der kontrollierten Zufälligkeit voll ausgespielt werden können. Im Bereich der Forschung gilt dies auch (bereits mit Abstrichen) für Transkription, das Zusammenfassen von Berichtsbänden und viele andere Aufgaben. Für die Auswertung eines Tiefeninterviews ist sie jedoch weniger geeignet, weil es hier auf Verstehen ankommt, und nicht auf Wahrscheinlichkeiten und augenscheinlicher Plausibilität, und zudem atmosphärische und zwischenmenschliche Dynamiken wichtiger sind als die im Interview produzierten Texte. Für die Herstellung von Testmaterial – Bildern oder Claims – ist sie hervorragend geeignet, solange einem keine ganz bestimmten und komplexeren Bildmotive vorschweben, und man selbst die Bild-Idee hat.
Ebenso muss man sich immer wieder klar machen, dass wir Menschen durch unseren evolutionären Hintergrund so gestrickt sind, dass wir uns durch dieses Prinzip beinahe automatisch täuschen lassen. Weil wir Menschen sind, erleben wir Textproduktionen der KI instinktiv als „Äußerungen“ eines quasi-lebendigen Wesens, zumal, wenn sie flüssig und plausibel daherkommen.
KI-Kompetenz schützt dann davor, z.B. alles von ChatGPT unkritisch zu „glauben“. Sie lässt vorsichtig werden etwa beim Einsatz des kontrollierten Zufallsprinzips als Ersatz für die Befragung von Menschen. „Synthetische Daten“ ist hier das Stichwort. Auch wenn die befragten synthetischen “Testpersonen” mit Material aus echten Befragungen gefüttert werden, greift bei der “Verlängerung” dieser Basis wieder das Prinzip der kontrollierten Zufälligkeit und der Wahrscheinlichkeit. Daher wirkt das, was dabei herauskommt, auf uns höchst plausibel, und auf das Plausible und Naheliegende fallen wir Menschen gerne herein (auch das, weil wir Menschen sind, und als solche sinnhafte Geschichten lieben, davon lebt auch das Storytelling). Doch ist nicht gerade in der Forschung die Überraschung und damit die Überschreitung des Naheliegenden das, was sie so spannend macht, und nicht eigentlich ihre Existenzberechtigung? Vor allem in der psychologischen Forschung steckt im Abweichenden und Nicht-Vorhergesagten meist das Gold der Erkenntnis. Da geht es auch nicht um die letzten 5% Zusatzerkenntnis, sondern meist um den Kern der Sache.
Ähnliches gilt für interaktive KI-Avatare oder KI-Personas, sofern sie in der Forschung als Ersatz für die Generierung oder Anreicherung von Insights oder für Insights-basierte Ideenentwicklung eingesetzt werden: Wenn sie mehr sein sollen als eine „sprechende Datenbank“ bestehender Studien, also die Stärken der kontrollierten Zufälligkeit ausspielen sollen (z.B. durch die Verbindung mit einem trainierten LLM), werden sie eben die Daten aus dem Trainingsmaterial plausibel „anreichern“ (auf Plausibilität beruht im übrigen auch der Turing-Test: klingt das, was das Modell ausgibt, “wie ein Mensch”?). Kann man machen, man sollte sich aber klar darüber sein, dass es schwer sein wird, zu beurteilen, wie gut sie die Realität simulieren oder nicht, auch – oder gerade – wenn sie plausibel klingen. Jedenfalls sollte man besser keine wichtigen strategischen Entscheidungen darauf fußen.
Zur Logik des Hypes gehört auch der ständige Verweis auf die Zukunft. „Künftig“ oder „schon bald“ werde dieses oder jenes möglich sein (das hat KI wohl mit der Kernfusion gemeinsam). Jedenfalls ist derzeit nichts in Sicht, das dafür spräche, dass ganz neue Formen generativer KI die prinzipiellen, auf dem Prinzip der Wahrscheinlichkeiten basierenden Begrenzungen überwinden. Die Verbesserungen im ersten Jahr waren rasant. Danach flachte es schon ab, und ob das Drohgespenst des KI-Inzest (KI lernt zunehmend von KI-generierten Inhalten) nicht das Qualitätsproblem, dass sich einige Branchen gerade einhandeln, nicht noch verschärfen wird, lässt sich auch nicht absehen.

Kritische Bewertung des Mehrwerts generativer KI aus Sicht einer bestimmten Profession
Möchte ich beurteilen, wie gut mich generative KI in meinen professionellen Prozessen unterstützen kann, muss ich mich nicht nur mit der Funktionsweise und den Stärken und Schwächen von KI auseinandersetzen. Fast noch wichtiger ist es, dass ich mich mit den Prozessen auskenne, die KI ersetzen oder unterstützen soll! Das klingt jetzt banal, ist es aber nicht. Wenn ich kein psychologischer Forscher bin, kann ich auch nicht einschätzen, wie und wo sie ihren Mehrwert in der psychologischen Forschung entfalten kann. Wenn ich kein professioneller Kreativer bin, kann ich nicht einschätzen, ob und wie KI mir bei der Kreation einer Anzeige oder eines Werbefilms helfen kann.
Banal ist dieser Punkt auch deswegen nicht, weil nicht wenige KI-Experten dies propagieren, obwohl sie nichts von den Prozessen verstehen, für die sie KI als Heilsbringer verkaufen wollen. Da werden z.B. von Vertretern aus Marketing oder Marktforschung durch das Prinzip der kontrollierten Zufälligkeit beliebige Werbeanzeigen geschaffen, die sie für irgendwie schick und „kreativ“ halten – ohne zu wissen, worauf es bei der Kreation ankommt. Designer oder Filmproduzenten möchten i.d.R. ein ganz bestimmtes Ergebnis produzieren, eine ganz bestimmte Stimmung, eine ganz bestimmte Flächenkomposition, einen bestimmten Gesichtsausdruck etc., oder sie haben Designprobleme zu lösen, etwa drei wichtige Botschaften in ein einziges Bild unterzubringen, das aber dennoch stimmig und nicht überladen sein soll. Ein Werbemittel soll bei der richtigen Zielgruppe wirken, das Corporate Design des Unternehmens erkennbar machen, strategische Ziele erreichen und bei den Kunden ankommen. Jedenfalls, KI-Kompetenz, wie sie hier skizziert wird, schützt vor solch übergriffigen Allmachtsphantasien. Wir kämen auch nicht auf die Idee, einer Chemikerin zu erklären, wie sie KI einsetzen soll.

Praktischer Einsatz generativer KI in konkreten und realen Projekten
Dritter und vermutlich wichtigster Aspekt der KI-Kompetenz ist die Praxis. Einfach machen, und zwar nicht nur ausprobieren oder damit „herumspielen“, sondern KI konkret in realen Projekten in seiner eigenen Profession (s. Punkt 2) einsetzen. Natürlich muss man dazu erst einmal vieles testen, ausprobieren, und sich ggf. bei dem einen oder anderen Tool auch schulen lassen – und bei der Vielzahl an Werkzeugen kann dies auch auf Dauer ins Geld gehen. Der praktische und professionelle Einsatz trennt dann aber schnell die Spreu vom Weizen.
Hier jetzt alle Erfahrungen aufzuführen, die wir mit KI-Werkzeugen in Forschung und Entwicklung gemacht haben, würde den Rahmen eines Blogbeitrags sprengen. Exemplarisch wollen wir dies am Beispiel Filmproduktion aufzeigen – und da wir an dieser Stelle den Lesern bereits genügend Text zugemutet haben und weil es im Bereich Kreation Usus ist, Ergebnisse zu zeigen anstatt darüber zu texten, verweisen wir auf „Eddi’s Journey“ (Sound einschalten!):
Der Film stellt einige unserer Use Cases für KI vor, und er „zeigt“ zugleich, was mit KI bei der Filmproduktion möglich ist – und an welchen Stellen „herkömmliche“ professionelle Programme bessere Ergebnisse liefern. So wurde Eddi selbst mit einem 3D-Programm erstellt. Sämtliche KI-Tools waren mit der einfachen geometrischen Form überfordert. Das Verarbeiten der drei Kugelsegmente, aus denen Eddi besteht, würde eine Art von Gestalterkennung erfordern. Unschlagbar ist die Software Luma hingegen, wenn es darum geht, eine Figur zu morphen. Hier kann das Prinzip der Wahrscheinlichkeit, nach der einzelne Pixel aufeinander folgen, schöne Effekte erzeugen.
Andere Special Effects ließen sich mit Adobe After Effects schneller und besser generieren. Die Musik ist teil-KI-generiert. Ab Minute 01:08 übernimmt Suno und „verlängert“ einen eigenen Track. Einige Realszenen sind KI-generiert, bei anderen war es einfacher, eine Szene aus einer Stockdatenbank zu verwerten.
Wir sind jedenfalls optimistisch, dass KI-Kompetenz weiter zunehmen und schon bald die Hype-Phase endgültig ablösen wird. Nicht aus Ernüchterung, sondern im Gegenteil: Nur mit einer kompetenten Haltung lassen sich die wunderbaren Möglichkeiten generativer KI voll ausschöpfen und gewinnbringend in Unternehmen nutzen. 🙂