Sic mundus creatus est

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Die deut­sche Mys­tery-Serie „Dark“ ist ein gefun­de­nes Fres­sen für den Kul­tur­psy­cho­lo­gen. Sie bringt die Befind­lich­keit unse­rer Kul­tur, den Zeit­geist, wie kaum eine andere auf den Punkt.

Ken­nen Sie „Dark“? Sie ist immer­hin eine der erfolg­reichs­ten Net­flix-Serien aus Deutsch­land. Haben Sie die Serie gese­hen? Womög­lich sogar bis zum Ende der drit­ten Staf­fel durch­ge­hal­ten? Und ver­stan­den??? Wenn ja, Glückwunsch!

Die Hand­lung ist schnell erklärt – oder auch nicht: Es geht um vier Fami­lien in einer deut­schen Klein­stadt namens Win­den. Die Geschichte beginnt noch rela­tiv harm­los mit dem mys­te­riö­sen Ver­schwin­den von zwei Kin­dern. Durch Zeit­rei­sen und Rei­sen in Par­al­lel­uni­ver­sen gerät zuneh­mend alles aus den Fugen. Am Ende win­det sich in Win­den alles um sich selbst, alles hängt mit allem zusam­men, und das der­ma­ßen ver­wor­ren, ver­wo­ben und viel­schich­tig, dass man die Serie kogni­tiv und emo­tio­nal kaum noch ver­ar­bei­ten kann. So ist etwa die Toch­ter der Mut­ter gleich­zei­tig die Urgroß­mutter der ver­schwun­de­nen Schwes­ter. Ihr Uren­kel ist gleich­zei­tig der Vater ihrer Toch­ter. Diese Toch­ter ist aber eigent­lich ihre eigene Mut­ter, zudem gibt es sie in ihrer heu­ti­gen, ver­gan­ge­nen und zukünf­ti­gen Ver­sion. So ähn­lich jedenfalls. 

Unter­legt ist die Story mit einer unheil­vol­len Atmo­sphäre und wird durch­zo­gen von einer bedeu­tungs­schwan­ge­ren Sym­bo­lik: Höh­len, Zei­chen, Tage­bü­cher, Uhr­ma­cher, Dach­bö­den – und einer sehr all­täg­li­chen Sym­bo­lik: Rai­der und Twix, gelbe Regen­ja­cken, Bus­hal­te­stel­len, Pfen­nige und… Nena.

Was macht die Serie so beliebt? Aus medi­en­psy­cho­lo­gi­schen Unter­su­chun­gen wis­sen wir, dass simple oder leicht durch­schau­bare Seri­en­mus­ter schon län­ger out sind. Soaps wie GZSZ wer­den allen­falls noch aus Gewohn­heit geguckt.  Heute guckt man anders: Kom­plex und her­aus­for­dernd muss es sein, mög­lichst auch mys­te­riös und über­na­tür­lich. Als Zuschauer*in will ich etwas zu tun haben, Geheim­nisse auf­de­cken, Fälle auf­lö­sen, Sinn ent­wi­ckeln, Zusam­men­hänge ver­ste­hen, bis ich am Schluss alles durch­schaut und ver­stan­den habe, und mit dem guten Gefühl ent­las­sen werde, mit der Kom­ple­xi­tät selbst, gewis­ser­ma­ßen durch eigene Leis­tung, zurecht­ge­kom­men zu sein.

Was hat dies mit dem Zeit­geist zu tun? Zunächst spie­gelt die Serie die reale Welt, wie sie von vie­len schon seit län­ge­rem erlebt wird: Als undurch­schau­bar, alles mit allem ver­wo­ben und latent bedroh­lich. Dafür gibt es übri­gens den schö­nen Begriff „VUCA-Welt“: VUCA steht für vola­ti­lity, uncer­tainty, com­ple­xity und ambi­guity. Seit Corona ist unsere Welt sogar noch mehr VUCA. Zugleich machen sol­che Serien den Zuschauer*innen das Ange­bot, stell­ver­tre­tend diese kom­plexe Welt zu behan­deln: Zusam­men­hänge zu durch­schauen, einen Sinn hin­ein zu bekom­men. Das gibt das gute Gefühl, irgend­wie mit der kom­ple­xen Welt zurande zu kom­men, und wenn es nur auf einem fik­ti­ven Neben­schau­platz wie einer Net­flix Serie geschieht.

Das gibt es aber schon bei vie­len Serien. Bei Dark ist neu, dass die Serie ers­tens die­ses Prin­zip auf die Spitze treibt. Zwei­tens bie­tet sie unter­schwel­lig auch noch eine andere Lösung an: Die kom­plexe Welt gänz­lich zu zer­stö­ren, anstatt sie „nur“ zu durch­schauen und zu ent­wir­ren. In der Hand­lung mani­fes­tiert sich dies u.a. an der „Apo­ka­lypse“ und dem Ver­spre­chen des „Para­dies“. Das Para­dies ist letzt­lich das Nichts, die Aus­lö­schung des Kno­tens, mit dem alles begann und damit die Ver­nich­tung der Wel­ten von Jonas, Mar­tha und all den ande­ren. Sie bedient die Sehn­sucht, diese ganze kom­pli­zierte, undurch­schau­bare, unbe­re­chen­bare VUCA-Welt hin­ter sich zu las­sen. Weg damit! Aber auch das bleibt nicht unwi­der­spro­chen stehen.

Denn was uns das Ende der Serie zeigt, ist zwar die reale, ein­fa­che und nor­male Welt. Aber sie ist sowas von nor­mal! Um nicht zu sagen stink­nor­mal und stink­lang­wei­lig. Da sit­zen in der letz­ten Ein­stel­lung der letz­ten Folge der letz­ten Staf­fel die unin­ter­es­san­tes­ten Cha­rak­tere der Serie wie eine ame­ri­ka­ni­sche Spie­ßer­fa­mi­lie zu Thanks­gi­ving zusam­men. Keine Zeit­rei­sen, Par­al­lel­wel­ten, Kno­ten und Aben­teuer mehr, kein Mys­tery, keine Hel­den, keine Ver­wick­lun­gen, und alle sind furcht­bar nett zuein­an­der. Die Zuschauer sind teils erleich­tert – jetzt muss man auch nicht mehr alles ver­ste­hen – teils rich­tig ent­täuscht. Trotz der Auf­lö­sung und Klä­rung haben alle Spaß daran, die ver­zwick­ten Zusam­men­hänge in Foren bis ins letzte Detail zu dis­ku­tie­ren. Die Serie wirbt damit letzt­end­lich für die Kom­ple­xi­tät unse­rer Gegen­wart. Ein­fa­che Lösun­gen kön­nen auch ent­täu­schen. Wie in der rea­len Welt. Sic mun­dus crea­tus est. 

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