Imaginationen sind ein unterschätztes und mächtiges Instrument. Besonders hilfreich sind sie in der Forschung und der Visions- und Innovationsentwicklung.
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen auf einer Blumenwiese, ein Schmetterling fliegt vorbei. Sie verfolgen seinen Flug mit den Augen, drehen den Kopf herum und entdecken am Horizont hinter Ihnen ein riesiges blaues Ei. Das Ei bekommt Risse … und jetzt machen Sie selbst weiter! Was sehen Sie aus dem Ei herausschlüpfen? Was passiert dann?
Herausgeschlüpft ist auf jeden Fall eine Imagination. Imaginationen sind eigentlich völlig alltäglich, laufen aber oft unbemerkt ab. Wenn wir z.B. unseren Schlüssel verlegt haben, imaginieren wir, wo wir zuletzt waren und den Schlüssel liegengelassen haben könnten. Wenn wir in eine neue Wohnung umziehen, imaginieren wir, wo wir welches Möbelstück in die neuen Räume hinstellen könnten. Vielleicht haben wir sogar ein recht deutliches Vorstellungsbild vor Augen und stellen in Gedanken die Möbel experimentell hin und her. Imagination hilft auch beim Eintauchen in eine Geschichte, die man liest oder erzählt bekommt.
Imagination wird auch in der therapeutischen Diagnostik genutzt, um sich Unbewusstes klar zu machen, so wie man auch Träume analysiert. Ein großes Plus für die Imagination ist jedoch, dass man mit ihrer Hilfe auch therapeutisch arbeiten kann, indem man in der Vorstellung Dinge neu gestaltet, probehandelt, also experimentell vorgeht. Hilfreich ist auch die Möglichkeit, sich imaginativ einen positiven Zufluchtsort zu schaffen, zu dem man sich zur Beruhigung in der Vorstellung begibt, wenn man z.B. als Angstpatient eine Panikattacke hat.
Wie oft haben Sie von anderen Menschen schon Erklärungen über etwas gehört, das ziemlich abstrakt blieb und daher auch nicht richtig zur Klärung beigetragen hat? Worte sind oft wenig konkret, z.B. die Aussage: „Das ist für mich Unterhaltung“. Listet man auf, was alles unter dem Etikett „Unterhaltung“ zu finden ist, sind das sehr verschiedene Dinge: Party feiern, ein Buch lesen, ein Computerspiel spielen, Handarbeit etc. Unter dem Begriffsetikett „Unterhaltung“ ist also Party feiern dasselbe wie Handarbeit. Möchte man herausfinden, was an der Beschäftigung mit einem Computerspiel besonders faszinierend ist, um z.B. ein neues Computerspiel zu entwickeln, kommt man mit der Aussage „Das ist für mich Unterhaltung“ nicht weit.
Die Vorzüge der Imagination liegen vor allem darin, dass sie besonders Erlebnis-echt ist. Es wird nicht in Worten über ein Erlebnis gesprochen, sondern das Erlebnis selbst wird quasi-sinnlich reproduziert oder – wenn es sich um Visionäres handelt – fantasiert.
Die Vorzüge der Imagination lassen sich in verschiedenen Bereichen nutzen:
- Forschung: vor allem in der Markt‑, Medien‑, Kultur- und Trendforschung
- Visionsentwicklung: für Unternehmen, Teams oder persönliche Lebensziele
- Innovation: Imaginativ auf neue Ideen kommen
Stellen Sie sich vor, die Entspannung, die Sie beim Spielen eines Computerspiels empfinden, wäre eine Landschaft. Wie sähe diese konkret aus? Kann man Konsument*innen so etwas fragen? Versuchen Sie es! Aus unserer Erfahrung sind die wenigsten Konsument*innen mit so einer Frage überfordert. Erstaunlich viele sind nicht einmal irritiert. Sie können auch fragen: Welche Farbe hat Entspannung bei einem Computerspiel? Landschaft und Farbe werden vermutlich anders sein, als wenn man sich Entspannung bei der Handarbeit beschreiben bzw. imaginieren lässt.
Sie haben das Etikett „Entspannung“ differenziert und auch noch Hinweise darauf erhalten, welche Farben z.B. ein passendes Werbedesign haben könnte. Hilfreich ist es, wenn man die beschriebenen Imaginationen auch zeichnet, während sie von den Konsument*innen beschrieben werden und sie sich von ihnen korrigieren lässt. Die Imagination, die zuvor nur im Kopf des/der Konsumenten/in existierte, wird in ein reales anschauliches Bild übersetzt. In der Auswertung können die Zeichnungen verglichen und Gemeinsamkeiten identifiziert werden.
Mit der Imagination in der Visionsentwicklung und Innovationsentwicklung sollen sich nachfolgende Artikel beschäftigen. Sie können aber in der Zwischenzeit schon einmal für sich selbst imaginieren, wie ein Visionsentwicklungs-Workshop und ein Innovations-Workshop aussehen könnten, wenn man Imagination einsetzt (und seit Netflix sind doch Fortsetzungen ok, oder?)