Zoom: Profi-Tipps für die psychologische Online-Forschung

Lese­zeit: 5 Minu­ten

Warum es manch­mal kleine tech­ni­sche Details sind, die große psy­cho­lo­gi­sche Aus­wir­kun­gen haben, und wieso jeder einige Zoom-Funk­tio­nen ken­nen sollte. 

Viele Monate, nach­dem wir – ich glaube, es war irgend­wann im März – in einer Nacht- und Nebel­ak­tion alles auf Online umge­stellt haben, und inzwi­schen viele Online-Grup­pen und ‑Inter­views spä­ter, möchte ich meine beschei­de­nen Erfah­run­gen zur psy­cho­lo­gi­schen Online-For­schung tei­len. Viel­leicht hilft es jeman­dem. Ein paar hand­feste Tipps hab ich auch dabei.

Zuge­ge­ben, ich gebärde mich ein wenig groß­spu­rig mit dem Titel „Profi-Tipps“. Aber meine Erfah­rung inzwi­schen ist, dass es manch­mal kleine tech­ni­sche Fines­sen sind, die den Unter­schied zwi­schen einem gelun­ge­nen For­schungs-Erleb­nis und einem Ersatz für Live-Gesprä­che aus­ma­chen kön­nen. Heute habe ich eine ganz andere Mei­nung zur psy­cho­lo­gi­schen Online-For­schung als noch vor etwa einem Jahr. Wir bei INNCH fra­gen uns mitt­ler­weile, ob und warum wir jemals wie­der For­schung in einem Test­stu­dio machen soll­ten (und unsere Kun­den fra­gen sich das auch). Klar, man wird das dif­fe­ren­zier­ter betrach­ten müs­sen, aber vie­les spricht ein­fach für online.

Damit meine ich nicht den Fir­le­fanz, den man mit Online-For­schung drum herum machen kann, wie kleine Umfra­gen, Online-Tage­bü­cher, Bul­le­tin-Boards etc. Das mag für „her­kömm­li­che“ Markt­for­schungs­in­sti­tute inter­es­sant sein – für den tie­fen­psy­cho­lo­gi­schen Kul­tur­for­scher, der z.B. etwas über die weni­ger offen­sicht­li­chen Aus­wir­kun­gen der Pan­de­mie auf unsere Lebens­be­find­lich­keit erfah­ren möchte, ist das allen­falls eine nette Ergän­zung. Rele­vant für mich sind ganz andere Dinge, die Inten­si­tät der Gesprä­che, die Chance, eine Bezie­hung auf Zeit auf­zu­bauen, die klei­nen non­ver­ba­len Signale zu bemer­ken und auf­zu­grei­fen, die Frage, ob sich eine echte, leben­dige Grup­pen­dy­na­mik einstellt.

Und hey, das tut es! Ich war anfangs sogar über­rascht, wie echt und leben­dig gerade Grup­pen­dis­kus­sio­nen wer­den kön­nen. Manch­mal kannst du dich als Mode­ra­tor sogar eine Weile kom­plett raus­zie­hen und die Leut dis­ku­tie­ren unter­ein­an­der wei­ter. Cool. Ob es damit zu tun hat, dass viele inzwi­schen das Video-Chat­ten gewohnt sind? Oder liegt es daran, dass sie bequem zuhause sit­zen, so als wür­den sie mit Freun­den quat­schen, die zu Besuch gekom­men sind? So ein Test­stu­dio ist ja auch nicht immer son­der­lich hei­me­lig, daher haben wir Grup­pen immer lie­ber in unse­rem Ate­lier durch­ge­führt. Oder auch daran dass sich Men­schen aus ganz ver­schie­de­nen Ecken Deutsch­lands begeg­nen? Wer weiß… ich denke, dass aber auch ein paar ziem­lich pro­fan anmu­tende, tech­ni­sche Ein­stel­lun­gen gro­ßen Ein­fluss haben kön­nen. Wie die Selbst­an­sicht aus­zu­blen­den oder die Beob­ach­ter unsicht­bar zu machen.

Ich habe seit eini­ger Zeit eine kleine Check­liste, die ich wie ein Pilot vor dem Start jedes psy­cho­lo­gi­schen Gesprächs abar­beite (das fol­gende gilt jetzt nur für Zoom und am Bei­spiel eines Grup­pen­ge­sprächs, und natür­lich habt ihr alles daten­schutz­kon­form ein­ge­stellt und Ein­wil­li­gun­gen eingeholt):

Vor den Dis­kus­sio­nen unbe­dingt die Kun­den fra­gen, mit wel­chen Namen sie sich als Beob­ach­ter ein­log­gen! Man­che wer­den da näm­lich krea­tiv, und dann kann man nicht unter­schei­den, wer im War­te­raum Teil­neh­mer oder wer Kunde ist. Und: Die Kun­den vor­war­nen, dass sie sich im War­te­raum ein paar Minu­ten gedul­den müs­sen (meist etwa 5 Minu­ten) — der War­te­raum lässt sich übri­gens anpas­sen und ‘bran­den’, aber das nur am Rande.

Wenn alle Teil­neh­mer da sind, zunächst nur die ech­ten Teil­neh­mer ein­las­sen, und Begrü­ßungs­ge­döns, Witz­chen, Small­talk und so

Die Namen der Teil­neh­mer ändern, d.h. ihre Nach­na­men löschen. Trotz aus­drück­li­chem Hin­weis in der Ein­la­dung ist in jeder Gruppe min­des­tens einer dabei, der sich mit vol­lem Namen ein­ge­loggt hat – egal, Kunde ist ja noch im Warteraum

Die Teil­neh­mer wer­den jetzt instru­iert:

Zuerst sol­len alle in die Gal­le­rie-Ansicht wech­seln. Man will sich ja gegen­sei­tig sehen und auf­ein­an­der reagie­ren kön­nen. Am PC „rechts oben“, am Smart­phone oder Tablet „links oben“ (bes­ser, man instru­iert sehr genau, nicht jeder denkt immer mit)

Dann sol­len alle auf ihr Video­bild kli­cken (auf die drei Punkte oben rechts) und dort „Selbst­an­sicht aus­blen­den“ ankli­cken. Schwupps, schon sehen sie sich nicht mehr selbst. Psy­cho­lo­gisch hat das Kon­se­quen­zen! Sich immer selbst beim Reden zu sehen, ist nicht nur unna­tür­lich, son­dern pro­vo­ziert manch­mal auch eine zu ‚reflek­tierte‘ Hal­tung, v.a. im Ein­zel­in­ter­view. Für Smart­phone- und Tablet­nut­zer gibt es übri­gens eine Extra-Anlei­tung von mir (muss man parat haben! – fin­det sich übri­gens im „Mehr“ rechts oben und dann in den „Mee­ting-Ein­stel­lun­gen“)

Als letz­tes sol­len alle die ein­zige schwarze Kachel ohne Video ankli­cken (das ist mein Handy, mit dem ich mich als zusätz­li­cher „Teil­neh­mer“ schon ganz zu Beginn ein­ge­loggt habe) und dort „Teil­neh­mer ohne Video aus­blen­den“ ankli­cken. Zack, für alle weg. Wenn alle schön genickt haben, dass sie die schwarze Kachel nicht mehr sehen, kann ich mein Handy aus­log­gen. Wenn ich dann die Kun­den ohne Video ein­lasse, sieht sie kei­ner (die Funk­tion “Teil­neh­mer ohne Video aus­blen­den” wird übri­gens nur ange­zeigt, wenn bereits ein Teil­neh­mer ohne Video drin ist, daher der “Profi-Tipp” mit dem ein­ge­logg­ten Handy). Teil­neh­mer am Handy/Tablet fin­den die Funk­tion auch bei „Mehr“ und „Mee­ting-Ein­stel­lun­gen“.

Das war‘s auch schon. Natür­lich kläre ich die Teil­neh­mer auf, dass wir beob­ach­tet wer­den, aber es stört kei­nen mehr, weil die Beob­ach­ter weder als Kachel noch psy­cho­lo­gisch “da” sind. So wie der Mor­pho­lo­gi­sche Psy­cho­loge sagt: See­li­sches ist nicht irgendwo “innen”, son­dern zeigt sich in den Din­gen selbst und in unse­rem Umgang mit ihnen. Was nicht mehr sicht­bar ist, ist irgend­wann auch weg (für den Köl­ner: Fott es fott). Egal, wir sind jetzt jeden­falls „unter uns“, und alles ist schön auf­ge­räumt. Die Auf­zeich­nung star­ten (nicht ver­ges­sen! Steht des­halb auf der Check­liste) und los geht es. Auf die (lokale) Auf­zeich­nung haben alle diese Ein­stel­lun­gen übri­gens keine Aus­wir­kung, es ist alles drauf.

Sind 4 oder 5 Teil­neh­mer in der Gruppe (unsere Maxi­mal­größe für Grup­pen), sieht jetzt also jeder nur den Mode­ra­tor und die ande­ren Mit­dis­ku­tan­ten. Ich sehe nur die Teil­neh­mer (ich blende meine Selbst­an­sicht auch regel­mä­ßig aus, das macht so ein Gespräch deut­lich ent­spann­ter, muss den Bauch nicht ein­zie­hen, dar­auf ach­ten, dass ich klug gucke etc.).

Gaa­anz sub­jek­tiv hier noch ein paar wei­tere Tipps:

Nutze kein Head­set, das mag zwar cool aus­se­hen, macht aber nur warme Ohren, klingt nicht wirk­lich bes­ser als ein gutes Mikro auf dem Tisch und engt einen irgend­wie ein

Nutze einen mög­lichst gro­ßen Moni­tor. In Ein­zel­in­ter­views sind die Köpfe dann sogar grö­ßer als in echt. Da kriegt man eini­ges mit. In Grup­pen: Super Übersicht

Nutze eine Weit­win­kel-Web­cam. Dann kann man auch mal auf­ste­hen und was zei­gen, zu zweit mode­rie­ren, oder mit Ges­ten kom­mu­ni­zie­ren (dass man in Video­chats nicht stän­dig „Ja“ oder „Hmm“ und „Inter­es­sant“ sagen sollte, ist ja bekannt, doch mit laut­lo­sen aber gro­ßen Ges­ten kann man kleine Grup­pen über­ra­schend gut dirigieren)

Inves­tiere in ein LAN-Kabel – gibt es auch mit 20 m

Wenn du dei­nen Bild­schirm teilst (z.B. um Test­ma­te­rial zu zei­gen, oder weil du ein White­board oder ein Zei­chen­pro­gramm für’s Phan­tom­skribb­ling nut­zen möch­test), tue das immer nur kurz oder schalte zwi­schen­durch immer wie­der in die Gal­le­rie­an­sicht zurück, dann ver­lie­ren sich die Teil­neh­mer nicht aus den Augen

Für Zwi­schen­durch-Gesprä­che mit den Kun­den eig­net sich am bes­ten eine klas­si­sche Tele­fon­kon­fe­renz (und denke daran, vor­her dem Kun­den die Ein­wahl­num­mern zu schi­cken) – geht natür­lich nur, wenn man zu zweit mode­riert, was bei uns oft vor­kommt. Alter­na­tiv: Die Gruppe ein paar Minu­ten alleine lassen

Nutze nicht den Chat. V.a. nicht für Zwi­schen­be­mer­kun­gen des Kun­den. Erwähne am bes­ten gar nicht, dass es die Mög­lich­keit gäbe

So, alles eher unspek­ta­ku­lär und eher tech­nisch. Und nur für den, der das ein oder andere noch nicht wusste. Dafür aber psy­cho­lo­gisch effektiv.

PS im Arti­kel habe ich aus­nahms­weise mal nicht gegen­dert, hätte zu unru­hig aus­ge­se­hen bei den vie­len Teilnehmer*innen und Kund*innen. Ihr seid aber alle gemeint.

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