Jetzt beginnt die Zeit, Innovationen anzugehen – und dabei Bedürfnisse aufzugreifen, die schon länger bestehen, aber wichtiger geworden sind.
Corona wird die Welt verändern. Selbst wenn in einer Nach-Corona-Zeit im Prinzip wieder alles so sein sollte wie vorher, werden die neuen Lebenserfahrungen in Erinnerung bleiben. Es ist zu vermuten, dass sich mittel- bis langfristig kulturpsychologische Veränderungen zumindest latent bemerkbar machen, z.B. in der Wertehaltung von Menschen, in dem, was ihnen wichtig ist, und in dem, was an Bedeutung verliert. Die Auswirkungen auf die Bedürfnisse der Konsument*innen lassen sich schon aktuell aufspüren. Es ist nur noch nicht genau bestimmbar, wie dauerhaft sie sein werden, oder ob sie sich im Verlauf der Ereignisse noch in eine andere Richtung wandeln.
Die vergleichende Analyse unserer psychologischen Tiefeninterviews vor und nach dem Ausbruch der Pandemie in Deutschland zeigt, dass keine völlig neuen Bedürfnisse entstanden sind. Vielmehr zeichnen sich Wünsche, Bedürfnisse, Hoffnungen und Sorgen deutlicher ab, die teils schon sehr lange vor Corona zumindest latent vorhanden waren. Auch wenn sie irgendwann wieder in den Hintergrund treten sollten: Diese Bedürfnisse sind da, denn sie waren vorher schon da und werden daher vermutlich auch noch länger da sein. Möglicherweise werden sie wieder unterschwelliger, aber darum nicht weniger psychologisch wirksam, und nicht weniger wichtig für die Entwicklung von Angeboten oder Kommunikation.
Trends, die sich deutlicher abzeichnen, waren:
Entschleunigung
In der Krise hat zumindest ein Teil der Menschen eine für sie neue Lebenserfahrung gemacht: Entschleunigung ist machbar! Der Wunsch, dem „Hamsterrad“ des Alltags zu entkommen, ist nicht ganz neu. Menschen stellen das “Hamsterrad” aber jetzt ernsthafter in Frage. Angebote, die Konsument*innen dabei unterstützen, ihr Leben zu entschleunigen, werden daher vermutlich noch höheres Potential entwickeln.
Das Große im Kleinen
Nicht wenige haben in der Krise die Schönheit des Nahbereichs (wieder-) entdeckt, den Wald vor der Haustür, den eigenen Garten. Andere haben unspektakuläre Freizeitbeschäftigungen als wertvoll erlebt. Sieh, das Gute liegt so nah. Auch vor der Krise gab es schon erste Ansätze dafür, dass die Menschen mit dem Höher-Schneller-Weiter-Credo unserer Gegenwartskultur hadern. Liegen hier Ansätze für Produktideen im Bereich Event, Tourismus, Mobilität, Spiele? (mehr zum Trend)
Minimalismus und Qualität
Eine neue Erfahrung ist: Verzicht kann auch wohltuend sein. Nur das zu kaufen, was wirklich gebraucht wird, macht den Blick wieder frei für das Wesentliche: Qualität und Minimalismus statt Wegwerf-Konsum. Sind Unternehmen im Vorteil, die bei Produkt, Verpackung, Kommunikation solche Werte jetzt konsequent umsetzen?
Nachhaltigkeit
Das Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit rückte zu Beginn der Pandemie zunächst in den Hintergrund. In unseren jüngsten Interviews spielt es umso mehr wieder eine Rolle. Nicht nur in der jüngeren Generation. Da aber ganz besonders.
Bricolage / Selbstwirksamkeit
Baumärkte, Heimwerken, Gartenarbeit, gefundene Steine bemalen, Brot selbst backen. All das war und ist nicht nur Bewältigung angesichts des erzwungenen Stillstands. Bedürfnisse nach Selbst-Machen und Selbst-Basteln – nach einem Gefühl von Selbstwirksamkeit — treten jetzt verstärkt hervor. Das Ergebnis muss auch nicht perfekt sein. Ergeben sich daraus Chancen für Angebote zum Selbst-Machen auch in anderen Branchen, z.B. im Bereich Mode? (mehr zum Trend)
Pragmatismus
Neu und erfrischend ist die Erfahrung, dass sich mit einer pragmatischen und flexiblen Haltung vieles erreichen lässt: Selbst in der großen Politik werden auf einmal Dinge möglich, die bisher als Tabu galten, wie die Absenkung der Mehrwertsteuer: ‘Agilität’, Pragmatismus und ein ‘Fahren auf Sicht’ halten Einzug auch in den Alltag. Welche Chancen ergeben sich daraus z.B. für eine agilere Gestaltung der Customer Journey, etwa bei Reisebuchungen?
Kollektives Erleben
Der Verlust realer sozialer Kontakte und gemeinsamer Erlebnisse hat dazu geführt, dass auch das eigene soziale Leben hinterfragt wird: Welche Aktivitäten mit welchen Menschen bedeuten mir wirklich etwas, auf welche kann ich verzichten? Liegen hier Ansätze für neue Ideen in Richtung Community oder dem Teilen von Produkten und Dienstleistungen, oder Konzepten für den regionalen Handel?
Push der Digitalisierung
Hier zeigt sich vielleicht am offensichtlichsten, wie die Krise eine bestehende Entwicklung beschleunigt. Nicht nur im Business, auch im privaten Kontext mussten sich auch die umstellen, die bisher Scheu vor der Technik hatten. Selbst die Oma beim virtuellen Familientreffen an Ostern kam mit Zoom zurecht (aus eigener Erfahrung). Zoom, Teams und Co. sind für den Business-Anwender sicher konkurrenzlos, aber wie sieht es im privaten Bereich aus? Wieso nicht auch in Zukunft Karten für ein Konzert zusätzlich als E‑Variante (Lifestream) verkaufen?
Natürlich muss man die Entwicklungen weiter aufmerksam beobachten. Auf Basis der Trends lässt sich aber jetzt bereits starten mit der Entwicklung von Innovationen oder Kommunikation. Eben weil diese Trends sind nicht ganz neu und doch hochaktuell sind.
In den kommenden Wochen werden in diesem Blog in loser Folge Beiträge zu den einzelnen Trends und möglicher Ideen-Ansätze dazu veröffentlicht.