Warum können sich Kreative aus der Kreativagentur und Marktforscher*innen nicht leiden, wo sie doch eigentlich zum Nutzen der Kunden kooperieren sollten?
Im Nachhinein war es eine glückliche Fügung, dass ich als Kreative aus der Kreativagentur gar nicht mitbekommen habe, dass ich Marktforscher*innen eigentlich hassen sollte. Sonst wäre ich wohl nie auf die Idee gekommen, eigeninitiativ den Kontakt zur Marktforschung zu suchen – spätere Heirat nicht ausgeschlossen.
Die einen Doofen
Schon nach wenigen Jahren Tätigkeit als psychologische Markt‑, Medien- und Kulturforscherin hatte ich allerdings gelernt, meines ehemaligen Gleichen zu hassen: Diese arroganten Typen aus der coolen Kreativagentur, die hinter der Einwegscheibe eigentlich die Forschungsgruppen, die wir gerade durchführten, beobachten sollten. Sie spielten aber lieber an ihrem Smartphone, um dann zu bekunden, dass sie das ja alles nicht interessiere, weil das ohnehin für die Tonne sei. Klar verschließe man sich heute auch als Kreativagentur nicht mehr dem Trend, die Konsument*innen in den Vordergrund zu stellen, aber dafür braucht man doch keine doofe Marktforschung, die sowieso – mit Null kreativem Spirit gesegnet – die besten Ideen nur kaputt testet.
Oder wie es Holger Jung von Jung von Matt ausgedrückt haben soll, ausgerechnet als geladener Redner auf dem Jahreskongress des Marktforschungsverbandes BVM, Zitat Stephan Teuber vom Marktforschungsinstitut GIM: „Und überhaupt, dass man echte Reaktionen auf Werbung gar nicht erheben könne. Forschung generiere vielmehr bei Probanden Reaktionen, die durch ihren einseitigen Fokus auf Rationalität und Reflexivität keinen Bezug zur Realität hätten. Die Konsequenz: er verzichte lieber ganz auf Forschung. Oder, wenn er sie denn im Notfall zur Beruhigung seiner Kunden brauche, erledige er sie in der DIY-Variante nebenher.“
Die anderen Doofen
Leider kann ich mich hier der Seite der Marktforschung nicht ganz anschließen, obwohl ich Herrn Teuber im Prinzip Recht gebe. Denn von der anderen Seite aus betrachtet sieht es nicht besser aus. Heute geriert sich die Marktforschung, sich in die Kreation einzumischen. In mir finden Sie eine echte Befürworterin für dieses Vorhaben. Mein energisches „Ja“ für interdisziplinäre Zusammenarbeit: Kompetenzen bündeln für das beste Ergebnis für den gemeinsamen Kunden, der einfach nur gute, kreative und gleichzeitig Konsument*innen-orientierte Werbemittel haben möchte, was ein völlig berechtigtes und erfolgversprechendes Anliegen ist.
Als Kreative bekommt man meistens ein Briefing mit Infos, die so weit von der Kreation entfernt sind, dass man damit nichts anfangen kann, z.B.: „Die Konsument*innen sind zwischen 30 und 50 Jahre alt, Status-orientiert und modern“. Aber welche Flächenkomposition hat „Status-orientiert“ und welche Farbe hat „modern“? Ich habe noch nicht herausgefunden, ob sich Marktforscher*innen vorstellen, dass man als Designerin irgendeinen Algorithmus besitzt, der bei Eingabe von „Status-orientiert“ und „modern“ ein fertiges Design errechnet. Das Problem, Insights zu den Konsument*innen in Formen, Farben etc. zu transformieren, scheint Markforscher*innen gar nicht bewusst zu sein.
Ganz davon zu schweigen, dass man auch erst einmal eine Idee braucht, eine Story für das Werbedesign. Mit der Darstellung welcher Lebenssituation auf dem Foto eines Werbeplakats holt man die Betrachter*innen ab, mit welchem Spruch? Darf es auch lustig oder gar frech sein, muss es aufgeräumt, eher reduziert oder lebendig-chaotisch sein? Darf es … (die Fragen, die hier nicht beantwortet werden, würden ein ganzes Buch füllen, was ich dann auch zusammen mit einem psychologischen Marktforscher 2016 geschrieben habe … aber das ist eine andere Geschichte).
Kreation im Design ist eine hoch komplexe Aufgabe. Designforscher nennen es das Lösen von „wicked problems“: Sie können weder falsch noch richtig gelöst werden, jede Problem-Formulierung schränkt die Lösungsmöglichkeiten ein, eine Lösung an einer Stelle produziert oft ein neues Problem an einer anderen. „In die Kreation einmischen“ heißt bei Marktforscher*innen nicht, dass sie bei der Ideenentwicklung – die ein Kreativer auf Knopfdruck beherrschen muss – mithelfen oder bei der konkreten Ausgestaltung des Designs. Marktforschung hilft nicht bei der Lösung, sondern schafft nur mehr Probleme (die man sich sonst spart als Kreative, indem man einfach so tut, als wäre für die Konsument*innen das cool, was man selbst für cool hält, was natürlich hochgradig Irrtums-anfällig ist).
Werden die Entwürfe dann getestet, die man als Kreative – ohne besseres Wissen (das man ja nicht bekommen hat) – entwickelt hat, bekommt man eine Fehlerliste wie früher das Rot-Angestrichene in der Schule, z.B. „Der Recall ist mangelhaft“. Welche Farbe, Flächenkomposition, Form, Größe, Typo etc. hat aber ein besserer Recall? Rot, groß und in der Mitte – natürlich wissen Designer*innen wie man die Aufmerksamkeit z.B. auf einen Produktnamen lenkt. Aber der Claim und der Produktnutzen sollen Aufmerksamkeit erzeugen und auch das Logo, das leider blass und dazu noch grottenhässlich ist. In die Mitte passt aber nicht alles und es kann auch nicht alles ganz groß sein. Die Markforschung mischt sich in das Benennen von Desingproblemen ein, lässt aber die Kreation mit dem Lösen der Probleme allein.
Doof mal Doof gleich Schlau (Minus mal Minus gibt ja auch Plus)
Das Buzzword-Bingo macht es möglich. Kreativagenturen schreiben sich „Wir sind Konsument*innen-orientiert“ auf ihre Webseite und Marktforscher: „Wir sind kreativ“. Beides stimmt nicht! Beide sind doof und schlau in ihrem eigenen Metier, und als „Hochmut“ würde ich es bezeichnen, zu meinen, man könne die Ausbildung und jahrzehntelange Erfahrung der anderen für sich selbst geltend machen, indem man es auf seine Webseite schreibt. Voneinander lernen, den anderen in seiner Fachkompetenz respektvoll anerkennen, Interesse am Anderen zeigen, über den eigenen Tellerrand hinaus einfach mal neugierig fragen: Wie macht ihr das eigentlich? Wie können wir euch mit unserer Kompetenz helfen im Sinne eines optimalen Ergebnisses für den gemeinsamen Kunden? Oder einfach mal davon ausgehen: Die anderen sind gar nicht doof, sondern nur anders. Damit wäre schon viel gewonnen.
Mit einem transdisziplinären Konzept, das beiden Fachkompetenzen gerecht wird – wie unser Design Guide, der die Forschung danach ausrichtet, was Designer*innen brauchen, und der zu Ideen inspiriert, statt die Kreativität einzuschränken – rennt man allerdings keine offenen Türen ein, sondern trifft oft hart auf die verhärteten Fronten beider Seiten. Unterwiegend finden sich aber auch Kunden, die darin eine Lösung erkennen, sowie Kooperationspartner, die eine konstruktive Zusammenarbeit beider Seiten auch wollen. Wir machen einfach weiter damit.
(mh)