Der Trend zum Selbstmachen und wie er für neue Angebotsideen im eigenen Unternehmen genutzt werden kann.
Baumärkte sind schon länger im Trend. Sie haben aber im Corona-Lockdown noch einmal einen kräftigen Schub nach vorne gemacht. Etwas im wahrsten Sinne des Wortes selbst in die Hand zu nehmen und das eigene Werk dann stolz zu betrachten – auch wenn es schief und unperfekt geworden ist – bereitet das gute Gefühl von Selbstwirksamkeit. Das kompensiert nicht nur Ohnmachtsgefühle in außergewöhnlichen Krisensituationen. Es setzt auch dem alltäglichen Hamsterrad, in dem man funktionieren muss, Selbstgeschaffenes entgegen.
Der Aufwind von „Bricolage“ – wie es Franz Liebl, Professor für strategisches Marketing einmal nannte – könnte auch wieder abflauen. Wer aber einmal das befriedigende Gefühl von Selbstwirksamkeit erlebt hat, wird sich auch in Zukunft danach sehnen. Baumärkte oder Geschäfte für Bastelutensilien müssen nur ihre Regale füllen, um den Trend aufzugreifen. Aber wie können andere Branchen darauf reagieren und vom Trend profitieren?
Bricolage-Arten und Tipps
Früher hieß es einmal „Selbst ist der Mann“. Ungeachtet dessen, dass auch Handarbeit, Kochen und Dekorieren – früher typische Frauensachen – ebenso schöpferisch sind wie Möbel bauen oder am Auto schrauben, sind heute (laut Handelsverband Heimwerken, Bauen und Garten e.V.) rund 50 % der Kund*innen weiblich und verweilen sogar länger in Baumärkten als Männer. Mancherorts, z.B. in Wuppertal, haben Bauhaus-Ketten „Women’s Night, ran an die Bohrmaschine!“- Kurse für Frauen eingerichtet, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Von der Studentin bis zur Rentnerin möchten Frauen lernen, wie man auch mit Holz, Metall, Beton und nicht nur mit Feinwolle und Zuckerguss selbst Hand anlegt.
Tipp 1: Frauen und verschiedene Altersgruppen werden als Kund*innen für das Heimwerken oft noch unterschätzt. Mit ihren ggf. anderen Bedürfnissen und Vorlieben bieten diese Zielgruppen viele Möglichkeiten, sie mit neuen Ideen zu gewinnen.
Seit Lockdown-Zeiten wird man morgens schon mit Säge- und Hämmergeräuschen geweckt. Da lobt man sich die geräuschfreien Tätigkeiten, die ebenso an Beliebtheit gewonnen haben. Puzzeln ist im Trend, besonders die schweren mit vielen Teilen. Ein Sprecher des Spieleherstellers Ravensburger nennt die derzeitige Nachfrage nach Puzzles „heftigst“. Als psychologisches Motiv dafür lässt sich vermuten, dass die Menschen eine aus den Fugen geratene Strukturierung des Alltags beim Puzzeln symbolisch wieder in den Griff bekommen wollen. Schon in der Weltwirtschaftskrise (1933) verfielen viele Amerikaner*innen der Puzzle-Manie.
Tipp 2: Ideen, die auch ein Ergebnis ermöglichen, auf das man stolz sein kann, weil man etwas erfolgreich geschafft und geschaffen hat, bieten einen besonderen Mehrwert.
Gefundene Steine bunt malen und bemalt wieder draußen auszuwildern, ist der neuste Hit, und hat sich als eine Art Fern-Kommunikation etabliert. Man sendet mit den bemalten Motiven auf den Steinen Botschaften an glückliche Finder. Das hat auch etwas von Flaschenpost von der einsamen Insel oder dem einsamen Balkon, oder den geheimen Zeichen von Landstreichern, die damit ihre Solidarität als Schicksalsgemeinschaft unterstreichen. Lachende Gesichter, Blumen, Marienkäfer, aber auch mal das ACDC-Logo – der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt – erfreuen Gestalter*innen wie Finder*innen und setzen damit ein Gemeinschaftswerk des selbstlosen Schenkens und Beschenktwerdens in Szene.
Tipp 3: Es geht nicht nur um Selbstwirksamkeit, sondern auch um kollektives Miteinander und die Gewissheit, Mitstreiter*innen für ein gemeinsames Werk oder Interesse zu finden.
Auch Brotbackautomaten sind schon länger beliebt. Doch wer hätte damit gerechnet, dass irgendwann einmal Mehl und Hefe Mangelware sein werden? Brot ist ein Symbol für etwas Lebens-Grundlegendes, so dass Brotbacken psychologisch Richtung Selbstversorgung tendiert. Bäckereien hatten zwar bisher noch keinen Angebots-Engpass, aber Unabhängigkeit ist ein schönes Gefühl. Hier gibt es auch Überschneidungen zum Trend Nachhaltigkeit. Wenigstens das Brot soll ökologisch mit wertvollen Zutaten und Liebe gebacken sein, und nicht dem Moloch der Industriefertigung, die uns überlebens-abhängig macht, überlassen werden.
Tipp 4: Wir leben noch fernab von dystopischen Science Fiction Szenarien á la Mad Max oder den Aktivitäten des Survival-Coaches Rüdiger Neberger. Dennoch geht es beim Bricolage-Trend auch immer unbewusst um Überlebenstechniken und Unabhängigkeit.
Den Trend für neue Angebotsideen in verschiedenen Branchen aufgreifen
Grundsätzlich gilt zu bedenken, dass man die Menschen nicht überfordern sollte. Sie wollen Erfolgserlebnisse und keinen Frust des Scheiterns. Plant man Angebote, bei denen die Nutzer*innen noch in irgendeiner Weise selbst Hand anlegen müssen, sollte man ggf. verschiedene Schwierigkeitsstufen anbieten und diese kennzeichnen. Es geht auch nicht darum, dass die Kund*innen das, was sie sonst als Serviceleistung erhalten, jetzt selbst machen müssen.
Im Folgenden gibt es weitere Ideenanregungen. Für die Entwicklung von konkreteren Ideen, bietet es sich an, zuvor mit Konsument*innen über ihre Vorstellungen und Vorlieben zu sprechen, z.B. in speziellen Workshops. Hier lassen sich gezielt die jeweiligen Bedürfnisse bezogen auf eine bestimmte Branche, Produktgruppe oder Marke ermitteln.
Ansätze für Ideen
Andersverwendung oder gar Zweckentfremdung von Produkten wird von manchen kreativen Nutzern ohnehin praktiziert. Anderen kann man Anregungen oder sogar kleine Anleitungen für mögliche Andersverwendungen der eigenen Produkte bieten. Produkte können auch gleich so gestaltet werden, dass sie sich für andere Verwendungen eignen und sich leicht umgestalten lassen.
Baukastensysteme, die individuell konfigurierbar sind, entsprechen noch nicht ganz dem Selbstbasteln. Man kann aber auch nur die Zutaten liefern, wie bei Produkten die das Selbst-Kochen und ‑Backen nur unterstützen, und Tipps für das Selbstgestalten geben.
Open source kennt man aus dem Softwarebereich. Nutzer*innen können das Produkt selbst verbessern, ausweiten oder auch einfach nur dekorativ verschönern. Vielleicht lässt sich das Prinzip auch auf die eigenen Produkte oder Dienstleistungen übertragen.
Man kann das Selbstbauen von Zusatzteilen anregen, und die Produkte dafür vorbereiten, z.B. eine Waschmittelhalterung für Waschmaschinen. Der Hersteller kann auch schon vorsorglich Bohrlöcher mit Schraubgewinden für die Montage eigener Kreationen einarbeiten.
Im Zuge des Nachhaltigkeitstrends lassen sich auch Verpackungen von Produkten so gestalten, dass sie sich zur Zweitverwendung oder als Bastelmaterial eignen. Auch hier helfen Basteltipps des Herstellers.
Durch die Unternehmenskommunikation lässt sich das Gestalten fördern, indem Wettbewerbe ausgerufen, Online Challenges veranstaltet oder „How to“-Filme produziert werden. Vielleicht wird Bastelfans auch eine Online Community-Plattform zur Verfügung gestellt, auf der sie sich austauschen und gegenseitig Tipps geben können, aber auch immer wieder Profitipps vom Unternehmen bekommen.
(dieser Blogpost greift einen der 8 Trends für das neue Normal auf, die wir in unseren Interviews feststellen)