Der Trend zur höheren Wertschätzung kleiner Erlebnisse, Dinge und dem nahen Umfeld und wie er für neue Angebotsideen im eigenen Unternehmen genutzt werden kann.
Den Trend zur Regionalität gibt es schon länger. Die Beliebtheit von Produkten aus regionaler Herkunft hat auch etwas mit dem Trend zu mehr Umweltfreundlichkeit zu tun. Beim Trend zum Großen im Kleinen stehen jedoch das Lebensgefühl und die psychologische Bedeutung von Nahbereich / Nähe im Vordergrund. Der heutige Regionaltrend verspricht Exotisches, das nicht mehr aus fernen Ländern importiert wird, sondern einem gleich aus dem Nachbarort entgegenweht: Traditionelle Erzeugnisse aus der Umgebung, Wiederentdecken alter Nutzpflanzen-Sorten für die Vor-Ort-Gastronomie, vergessene Handwerkskunst und unscheinbare Sehens-Neuwürdigkeiten aus der Region etc. werden mit dem Hauch des Exklusiven aufgeladen. Das gibt es nur hier und nicht gleichförmig bei jeder McDonalds-Filiale, egal wo man auf der Welt ist.
„Authentisch“ ist das Zauberwort. Das eigene Selbst als jemand, der aus dieser Gegend stammt, oder sich für ein Leben in dieser Gegend entschieden hat, wird aufgewertet, auch gegen die Entfremdung der anonymen globalisierten Warenwirtschaft. Austauschbaren Massenwaren werden Erzeugnisse entgegengesetzt, die mit Mühe, Sorgfalt und Herzblut aufgeladen sind. Es beeindrucken handwerkliche Kompetenzen, die nur von Opa zu Vater zu Tochter überliefert werden und nicht auf irgendeiner international business school erlernt werden können. Produkte mit Seele, Geschichte und Brauchtum, mit deren Konsumieren man auch selbst Teil eines natürlich gewachsenen Kulturerbes wird, erlauben eine neue Art von Heimatgefühl. Tradition wird hier nicht als verstaubt und einengend erlebt, sondern als Identitäts-stiftend. Saisonale Produkte, die es nur dann gibt, wenn sie gerade geerntet wurden, helfen beim Verankern des Selbst im Fluss der Zeit, der immer schneller zu fließen scheint. Es ist nicht nur ein Zu-sich-selbst-Finden, sondern auch ein Innehalten.
Wen wundert es, dass gerade zu Zeiten von Corona mit dem „Bleib Zuhause“ Appell, der Trend zur Regionalität einen weiteren Aufschwung erlebt. Wenn man schon im Nahbereich bleiben muss, wieso nicht auch einfach die Augen öffnen für die Schönheit dieses Nahbereichs. Warum nicht Langeweile als Innehalten im schnelldrehenden Fluss der Zeit, als bereichernde Entschleunigung umdeuten? Nur 200 Meter vor der Haustür gibt es ein Naturschutzgebiet, das man in 5 Jahren hier leben noch nicht entdeckt hatte. Da muss erst Corona kommen, um die eigene nahe Wohnumgebung schätzen zu lernen. Wie schön ist es doch Zuhause, wenn man sich das mal genauer betrachtet, anstatt in die fremde Ferne zu schweifen.
Entdeckungen im Nahbereich
Und diesen netten kleinen Laden in der Seitenstraße hat man auch erst jetzt entdeckt. „Viele kleine Läden sind bislang besser durch die Corona-Pandemie gekommen als erwartet — gerade weil sie nicht in den großen Einkaufsstraßen liegen. Was früher als Nachteil galt, wird jetzt zur Rettung.“ titelt die Süddeutsche in einem Artikel vom 17.10.2020. Laut einer Auswertung der Münchner Handelsberatung BBE sind kleinere Unternehmen besser durch die Krise gekommen als große Handelsketten. Nach Selbstauskunft der Inhaber kleiner Unternehmen, ist dies verschiedenen Faktoren zu verdanken: Bessere Möglichkeit, auf individuelle Wünsche der Kund*innen einzugehen. Sie radeln zu den Kund*innen, bieten kurzfristig Online-Verkauf oder To-go-Artikel an. Man kann die bestellte Ware auch im Kiosk nebenan abholen, weil sich die Läden solidarisch online organisiert und kollektiv zusammengeschlossen haben. Die Auslage im kleinen Modeladen wird auf Instagram präsentiert, wo man die Klamotten bestellen kann, oder der Kleiderständer wird einfach vor die Tür gestellt. Kreative Lösungen. Aber auch nicht zu vergessen: „Wer nicht in die U‑Bahn steigen will, geht um die Ecke einkaufen.“ (ebn.) und entdeckt die Schönheit des Nahbereichs.
Wenn man für einen Urlaub in Frankreich 2 Wochen Quarantäne in Kauf nehmen muss, werden auch die Urlaubsmöglichkeiten im Nahbereich attraktiver. Während man vor Jahren noch verwundert erstaunt vor dem Plakat eines Reisebüros in Tahiti stand, das die Schönheit des mittleren Rheintals mit seinen Burgen als exotisches Fernreiseziel für betuchte Tahitianer anpries, nutzt man jetzt die Gelegenheit, dass das mittlere Rheintal nur einen Fahrradtag-Katzensprung vom Wohnort entfernt liegt. Der Fahrradverkauf zum entschleunigten Erreichen von Nahzielen erlebt in Coronazeiten auch eine ungeahnte Blüte. Eine Baumhütte im Weserbergland kann doch ebenso spannend sein, wie eine Strandhütte auf Bali. Die raueren Witterungsverhältnisse sind Teil des authentischen Weserbergland-Erlebnisses.
Nähe schaffen
Nähe ist aber nicht nur geografisch, sondern drückt sich auch darüber aus, wenn man sich mehr mit den eigenen Vorlieben beschäftigt und damit eine Art Nähe zu sich selbst schafft, zu dem, was einen selbst ausmacht. Dazu kann es auch zählen, wenn man auf dem Dachboden nach Dingen aus der eigenen Vergangenheit stöbert, alte Fotos sortiert und sie wieder in die eigene Ordnung des Hier und Jetzt einbindet – dem Bedürfnis nach Ordnung schaffen, strukturieren im schief-verwackelten Corona-Alltag nachkommen.
Sich wieder mehr an kleinen Dingen erfreuen, das Unspektakuläre, wenig Aufgeregte genießen, erlaubt ein In-sich-Kehren und Innehalten in bewegten Zeiten. Das ist fast eine Art buddhistische Sinnfindung – wir erinnern uns, dass die lange Reise Siddhartha schließlich zur Erkenntnis führte, dass der Sinn des Lebens in jedem kleinen Stein zu finden ist. Die eigene Wertschätzung gibt den Dingen ihren Wert, nicht deren Größe, Wichtigkeit und sensationelle Auffälligkeit. Nähe kann auch mit Gewohntem zu tun haben, mit dem Wiederholen von Ritualen. In Corona-Zeiten hat man sich auch neue Rituale geschaffen, indem man z.B. jeden Tag einen kleinen Spaziergang unternimmt.
Mit der Gestaltung seines nahen Umfelds, der eigenen Wohnung oder des Gartens, kann man das Umfeld als eigenen Gestaltungsraum vereinnahmen. Was gedeiht, kreucht und fleucht denn da alles so im eigenen Garten oder dem Balkon, wie aufregend kann eine unspektakuläre Freizeitbeschäftigung wie das Anlegen eines Kräutergartens, nebst Bienenhotel sein? Hier besteht ein Übergang zum Trend Bricolage. Schwieriger ist es in Corona-Zeiten mit der menschlichen Nähe. Auch diesbezüglich lernt man die bescheidenen Möglichkeiten wieder mehr zu schätzen – ein kleiner Spaziergang mit der Freundin, anstelle einer Party mit dem ganzen Freundeskreis, oder die Möglichkeiten, die digitale Medien bieten: besser ein Online-Konzert als kein Konzert.
Ansätze für Ideen
Grundsätzlich kann man als Anbieter aus dem Nahbereich die größere Kundennähe nutzen, persönlicher auf Kund*innen eingehen und hat auch oft selbst einen guten Blick für die Erfordernisse der Umgebung oder für das, was dort fehlt. Digitale Unterstützung lässt sich für bessere Serviceleistungen nutzen: ein zusätzlicher Webshop, Online-Bestellmöglichkeiten, aber auch die bessere Auffindbarkeit des Angebots. Auch das Bekanntermachen über z.B. regionale Facebook-Gruppen kann eine Möglichkeit sein, mehr Kund*innen zu gewinnen.
Eine Recherche in den Geschichtsarchiven des eigenen Ortes kann verschüttete Quellen für regionale Geschichten, Handwerkskünste etc. offenlegen. Das gilt nicht nur für Geschäfte, die regionale Waren anbieten, sondern auch im Bereich Kurzurlaub. Hier sind besonders Motto-Reisen beliebt, mit Themen, die authentisch für die Region stehen. Kräuterwanderungen, Klosterwochenende etc. gibt es bereits im Angebot. Mit Einfallsreichtum kann man neue Erlebnisse schaffen, die beim Trend zum Großen im Kleinen auch unspektakulär sein können. Angebote, die Nähe schaffen. Auch Menschen, die Homeoffice an sich begrüßen, vermissen oft den sog. Flurfunk oder mal das kleine Gespräch im Türrahmen oder der Kaffeeküche zwischen Kollegen. Bei allen vorhandenen Online-Konferenz Tools, könnte eine Flurfunk-Plattform für den gewünschten Austausch sorgen. Am besten kann sie direkt so konzipiert werden, dass sie auch als privater Treffpunkt zum geselligen virtuellen Beisammensein dienen kann, vielleicht mit Möglichkeiten, auch einmal gemeinsam ein kleines Spiel zu spielen. Das ginge auch für Menschen, die man zu Weihnachten nicht persönlich besucht. Weihnachtsdesign und ‑Musik könnten direkt als Themes auswählbar oder auch selbst gestaltbar sein.
(dieser Blogpost greift einen der 8 Trends für das neue Normal auf, die wir in unseren Interviews feststellen)