Möchten Sie Innovationen entwickeln, die die Bedürfnisse Ihrer Zielgruppe treffen? Dann sollten Sie ein zentrales und besonders hilfreiches Grundprinzip beherzigen.
Es ist schon ein paar Jahre her, als wir das Potential eines Musik-Streaming-Anbieters in Deutschland untersucht haben. Damals war dieser Dienst v.a. in Skandinavien bereits populär, aber hierzulande noch nicht etabliert. Teilnehmer von Gruppengesprächen waren sehr skeptisch. Monatlich für den Zugang zu seiner Musik zu zahlen, ohne sie zu besitzen, das ist doch, wie ins Bordell gehen. Schließlich liebt man doch seine Musik und ist mit ihr durch eine gemeinsame Geschichte verbunden.
Hätten wir damals die Wünsche der Konsument*innen für bare Münze genommen, hätten wir unserem Auftraggeber dringend von einem Launch in Deutschland abraten müssen. Haben wir aber nicht. Stattdessen haben wir uns die Bedürfnisse hinter den Wünschen genauer angeschaut. Klar, es gibt den Wunsch nach einer hörbaren Biografie, die seit einiger Zeit an der eigenen „Plattensammlung“ festgemacht wird – aber kein echtes Bedürfnis nach Musik-Besitzen. Dies erschien uns eher als vorübergehende kulturelle Erscheinung, ausgelöst durch die Erfindung der Vinylschallplatte und mit der CD und MP3-Playern ohnehin schon wieder dabei, langsam zu verschwinden. Außerdem gibt es noch Bedürfnisse nach Stimmungsmodulation, nach einer tragbaren Gefühlsapotheke, nach Inspiration und noch einiges mehr. Die Empfehlung lautete daher: Machen!
Auch in Innovationsprozessen sind abgefragte Wünsche kein verlässlicher Indikator für das Potential neuer Angebote. Konsument*innen können sie sich schwer vorstellen, sie entwickeln anfängliche Widerstände, wer will schon seine Gewohnheiten ändern? Sie verhalten sich so, wie die Menschen zu Kaiser Wilhelms Zeiten, die sich – wie kolportiert wird – schnellere Pferde statt Autos gewünscht haben sollen.
Hier greift ein ganz wichtiges, zentrales und ganz besonders hilfreiches Grundprinzip der Innovationsentwicklung: Abstrahieren. Weg von den konkreten Wünschen. Vielmehr das grundlegende Bedürfnis dahinter freilegen und genau dafür die Innovation entwickeln. Erst dadurch wird der Blick frei für Neues oder auch wirklich disruptive Innovationen.
Dieses Prinzip ist auch bekannt aus der Erfindungsmethode TRIZ. Sie ist in Marketingkreisen eher unbekannt, denn sie bezieht sich auf technische Erfindungen, nutzt aber das gleiche Grundprinzip. Entwickelt wurde sie in den 1950er Jahren in der damaligen Sowjetunion. Bei TRIZ wird ein technisches Problem zunächst auf einer höheren Ebene abstrahiert. Dann findet man eine abstrakte Lösung und bricht diese wieder herunter auf eine konkrete Lösung. Ein Beispiel: Statt der Frage „Wie verbessere ich einen Rasenmäher“ wird danach gefragt: „Wie erreiche ich, dass der Rasen kurz ist“. Die konkrete Lösung kann dann auch ein gentechnisch veränderter Rasen sein, der bei 5 cm aufhört zu wachsen.
Übertragen auf Innovationen für Konsument*innen ist die abstrakte Frage natürlich die nach den eigentlichen Bedürfnissen. Im Beispiel Musik-Streaming waren es z.B. Bedürfnisse nach permanent verfügbarer Stimmungsmodulation. Für die Nostalgiker Vinyl – für diese Zielgruppe hat Vinyl ja sogar wieder getrendet – aber für alle anderen bitte Musik-Streaming. Autos statt Pferde quasi.
Unser Experten-Tipp: Seien Sie vorsichtig mit Innovationsprozessen und ‑methoden, die zwar Konsumenten-Zentrierung reklamieren, aber dabei direkt von deren Wünschen ausgehen und diesen Abstraktions-Schritt nicht machen (ohne jetzt bestimmte Methoden, wie Design Thinking, beim Namen nennen zu wollen). Ihre Ideen werden disruptiver und nutzerorientierter sein, wenn sie mit System herangehen.