Tutorial: Mit der Kreativtechnik „Vorher-Während-Nachher“ lassen sich bestehende Angebote erweitern und mit Mehrwert aufladen.
Die meisten Angebote besitzen ein Vorher, Während und Nachher.
Vorher: wie kommt man als Nutzer*in an das Angebot? Während: was lässt sich während des Nutzens des Angebots verbessern oder als Mehrwert hinzufügen? Nachher: was kann man den Nutzer*innen noch Gutes tun, nachdem der eigentliche Nutzen schon vorbei ist. Man muss kein komplett neues Angebot entwickeln, wenn man das vorhandene mit Mehrwert “tuned” und sich damit gegenüber Mitbwerbern einen Vorteil verschafft. Amazon hat den Onlinehandel nicht neu erfunden, ist aber deshalb erfolgreich, weil sie beim “Vorher, während und nachher” besondere Vorteile schaffen. Die Kreativtechnik “Vorher-während-nachher” wird im Folgenden am Beispiel “Kino” erläutert.
Möchte man einen Film im Kino sehen, muss man zuerst zum Kino kommen. Fährt man mit dem Auto, braucht man in der Nähe des Kinos einen Parkplatz. Man braucht eine Eintrittskarte. Während des Films hat man vielleicht Hunger und Durst und anschließend möchte man noch irgendwo nett etwas trinken gehen. Im Fall des Kinos ist für die meisten Dinge, die vorher, während und nachher zum Kinobesuch dazu gehören, gesorgt. Die meisten haben einen Parkplatz, eine Eintrittskarte kann man sogar mit dem Smartphone kaufen und braucht nicht an der Kasse anzustehen. Snacks gibt’s im Kino auch und meistens auch eine Bar in der Nähe.
Vielleicht könnte man aber auch in Gegenden mit schlechtem öffentlichen Nahverkehr, oder für ältere Mitbürger einen Kino-Shuttleservice einrichten, oder zumindest den Service, dem Online-Ticketkäufer auch gleich einen individuellen Fahrplan für öffentliche Verkehrsmittel oder eine Parkplatzreservierung zu bieten. Anstelle von Snacks könnte man richtige Gerichte anbieten, vielleicht thematisch passend zum Film, oder eine Massage während des Filmschauens, oder für Filme mit komplexen Protagonisten-Strukturen (man denke hier an die Netflix-Serie „Dark“) eine Übersicht auf dem Handy, wer nochmal „John“ war und in welcher Beziehung er zu „Jenny“ steht. Auf der Webseite des Kinos bekommt man vielleicht nach dem Kinobesuch eine Doku zum Making-of des Films freigeschaltet oder kann mit den Filmemachern chatten.
Schritt 1: Recherche
Welche Ansätze lassen sich für eine Erweiterung für das Vorher, Während und Nachher von Angeboten finden? Die Analyse der bestehenden Gegebenheiten vor Ort ist eine Möglichkeit für Angebote, die Orts-abhängig sind: Wie sieht die Parkplatzsituation aus, wie steht es um das Vorhandensein von Restaurants in der Nähe? Eine psychologische Analyse durch Gespräche mit Konsument*innen, um mehr über Bedürfnisse, Motive, Verwendung aber auch Entsorgung etc. des Angebots zu erfahren, bringt besonders reichen Input. Die Recherche kann man nach folgender Systematik aufschlüsseln:
- Handlungen: Was muss oder möchte man (die Nutzer*innen) machen, bevor man das Angebot wahrnimmt? Was muss oder könnte man währenddessen noch sinnvoll machen? Was muss oder möchte man nachher machen?
- Ereignisse: Was könnte vermutlich vorher passiert sein (z.B. der Parkplatz ist voll)? Was könnte währenddessen passieren, welche Nebenereignisse sind wahrscheinlich (z.B. das Snack-Geknabber der anderen Besucher nervt)? Was könnte nachher passieren (z.B. als das Kino anfing, schien noch die Sonne. Jetzt regnet es)?
Schritt 2: Mängel beseitigen
Im zweiten Schritt kümmert man sich zunächst um die sog. Hygienefaktoren. Das sind alle Phänomene, die stören könnten, zu unnötigen Ärgernissen führen und sich als negatives Erlebnis für die Kund*innen vermeiden lassen. Dass z.B. niemand gerne in einer langen Warteschlange steht, um ein Ticket zu kaufen, ist fast schon selbstverständlich. Die Verpackung eines Snacks, den man auch unterwegs verzehren möchte, sollte ohne Werkzeugkasten geöffnet werden können, oder wie wäre es, wenn man sie sogar mit einer Hand öffnen kann?
Schritt 3: Entwicklung von Einzelideen
Bei der Ideenentwicklung kann man zunächst frei und ohne Grenzen alle Einfälle durchspielen, ausgehend von den gesammelten möglichen Ereignissen und Handlungen. Das kann man mit verschiedenen Verfahren und auch gängigen Kreativtechniken durchführen:
Neben Brainstorming oder Brainwriting bietet sich die Reizwort bzw. Reizbildtechnik an: Man nimmt zentrale Begriffe aus der Recherche, fügt noch Synonyme hinzu oder (Vorstellungs-)Bilder, die man im Gespräch mit den Konsument*innen ermittelt hat als Ideenanregung.
Die Begriffs- und Bildkombinatorik funktioniert ähnlich wie Reizwort / Reizbild. Hier kombiniert man jedoch die Begriffe oder Bilder mit einem zentralen Begriff oder Bild aus dem Angebot, z.B. „Allwetter-Kino“ oder „Entspannungs-Sitze“ oder man montiert z.B. das Bild eines Restaurants in das Bild eines Kinosaals.
Vielleicht kann man auch schon vorher etwas erledigen, das sonst nachgelagert ist oder vielleicht kann man die Abhängigkeit, bzw. das Ursache-Wirkungs-Gefüge zwischen Ereignissen und Handlungen aufbrechen, neu verknüpfen, und es lassen sich dann z.B. lästige Prozess-Teile abkürzen oder ganz eliminieren. Hier helfen Mindmap- oder Fischgräten-Technik.
Schritt 4: Gesamtbild schaffen
Die Idee, Entspannungsmassage während des Filmguckens anzubieten, passt nicht sonderlich gut zur Rockerkneipe, die im Anschluss an den Kinobesuch in der Nähe liegt. Sicher mögen vielleicht manche Menschen auch gerade die Abwechslung. Bietet man aber selbst Gastronomie für nachher im Kinobereich an, würde sich hier eher eine Entspannungs-Gastronomie anbieten. Führt man einen Shuttle-Dienst für ältere Mitbürger ein, sollte auch der Rest zu dieser Zielgruppe passen. Man muss also die Einzelideen zu einem stimmigen Gesamtkonzept zusammenfügen, um eine klare Positionierung zu finden und kein komplex-undurchschaubares Sammelsurium.
Die Kreativtechnik „Vorher-Während-Nachher“ bietet den Vorteil, sich auch mit kleinen Ideen einen Mehrwert verschaffen zu können und die eigene Positionierung außergewöhnlicher zu gestalten. Man muss auch nicht alles sofort komplett umkrempeln, sondern kann auch in kleinen Schritten das Angebot aufwerten, spannender machen und besser angepasst an die Bedürfnisse der Kund*innen und der Situation, in der sie sich vorher, während und nachher befinden.