Ein Widerspruch in der Ideenentwicklung ist oft der zwischen zielorientierter Systematik und freier, offener Kreativität. Die Widerspruch-basierte Erfindungsmethode TRIZ löst auch diesen Widerspruch.
Was ist der Nutzen von Waschpulver? Es wäscht die Wäsche sauber. Will man ein besseres Waschpulver entwickeln, dann wäre das Ziel ein Waschpulver, das die Wäsche besser sauber wäscht. Eine disruptive Innovation ist das jedoch nicht, nur eine Verbesserung. Man könnte auch anders fragen: Was ist das ideale Endresultat der Nutzung von Waschpulver? Die Wäsche IST sauber. Jetzt kann man auch vom Waschpulver ganz weg kommen und stattdessen z.B. Stoffe für Wäsche entwickeln, die gar nicht erst schmutzig werden oder bei der man den Schmutz einfach abschütteln kann.
Fragt man heute nach einer Ideenentwicklungs-Methode, fällt den meisten wohl „Design Thinking“ ein. Doch es gibt noch andere interessante Methoden, z.B. TRIZ, Theorie zur Lösung erfinderischer Aufgaben (теория решения изобретательских задач) die in den 1950ern in der damaligen Sowjetunion von Genrich S. Altschuller entwickelt wurde.
Wie entstand und wie funktioniert TRIZ?
Altschuller war als Sekretär im Patentamt tätig und fragte sich bei der Durchsicht von Patentschriften, ob es vielleicht allgemein gültige Erfindungsprinzipien gibt. Aus einer Analyse von unzähligen Patentschriften entwickelte er schließlich 40 allgemeine Prinzipien, die bei der Erzeugung erfinderischer Ideen behilflich sind.
„Finde den Knackpunkt, an dem der grundlegende Widerspruch liegt“, heißt die Aufgabe der obligatorisch zu Beginn durchgeführten Analyse bei TRIZ. Auf das Waschmittel-Beispiel übertragen: Liegt der grundlegende Widerspruch darin, dass ein Waschmittel sauber waschen sollte, aber mit manchen Schmutzarten Probleme hat? Nein, nach TRIZ liegt er an einer viel grundlegenderen Stelle: Die Wäsche soll sauber sein, wird aber i.d.R. im täglichen Gebrauch schmutzig.
TRIZ bietet eine Widerspruchsmatrix mit 39 möglichen Widersprüchen, die dabei hilft, die 2 bis 5 passenden Prinzipien aus den 40 zu ermitteln. Das grenzt das Suchfeld für Ideen ein, weil man nicht für alle 40 Prinzipien nach Ideen suchen muss. Für Menschen, die einen Beruf ergriffen haben, bei dem sie im Physik- und Chemieunterricht nicht aufpassen mussten, ist es ziemlich kompliziert. Mit einem solchen Menschen haben Sie es bei der Autorin dieses Artikels zu tun. Beispiel aus der Matrix: Die Masse eines beweglichen Objekts widerspricht sich mit der Länge eines unbeweglichen Objekts. Hä?
Wie geht TRIZ denn nun wirklich?
Anhand eines Beispiels wird es auch für diejenigen, die in der Oberstufe Chemie und Physik abgewählt haben, deutlicher: Eine Parabolantenne soll ins All transportiert werden. Der Widerspruch ist hier: Die Antenne muss für den Transport wenig Luftwiderstand erzeugen – was bei einer Parabolform ein Problem darstellt. In der Widerspruchsmatrix kann man nun eingeben: Masse widerspricht sich mit Masse. Man erhält dann Vorschläge aus der Matrix für Prinzipien, die man in diesem Fall nutzen kann: Prinzip Nr. 9: „Vorspannung“, und Prinzip Nr. 25: „Vonselbst“.
Die Prinzipien sind noch keine Ideen, sondern sie bieten Inspiration dafür, wie man auf eine Lösung kommen könnte, z.B. Prinzip 9, Vorspannung: Wie könnte man das Problem lösen, indem man schon im Vorfeld dafür sorgt, dass das Problem gar nicht erst entsteht?
Andere Beispiele für Prinzipien: Prinzip 23, Schädliches mit Schädlichem beseitigen, z.B. Turbinenlärm mit Lärm in einer gegenläufigen Frequenz minimieren. „Vonselbst“ – Prinzip 25 – kommt z.B. auch zur Anwendung, wenn man in der Chirurgie Fäden zum Zunähen von Wunden verwendet, die sich selbst wieder auflösen und daher nicht gezogen werden müssen. Prinzip 9, Vorspannung, könnte im Fall der Wäsche z.B. eine Schmutz-Imprägnierung als Idee anregen. „Dynamisieren“, Prinzip 15, inspiriert dazu, anstelle der Anpassung des Objektes selbst, die Umgebung anzupassen. Hier ist Platz für Ihre eigenen Ideen zu „Dynamisieren“ für das Wäscheproblem: ____
Die Lösung für unsere Parabolantenne könnte dann sein, eine sog. „Gedächtnislegierung“ zu nutzen: Nach spezieller Behandlung kann eine Nickel-Titan-Legierung in abgekühlter Form beliebig verformt werden. Bei Erwärmung kehrt die Legierung in ihre alte Form zurück. Man formt also eine Parabolantenne aus diesem Material im erwärmten Zustand, kühlt es ab und knüllt es zu einem Klumpen mit hoher Masse zusammen. Der Klumpen wird ins All geschossen und verwandelt sich dort durch die Sonnenwärme wieder von selbst zurück in die Parabolform.
Kann man mit TRIZ nur technische Erfindungen machen?
Da es sich in Patentschriften immer um technische Erfindungen handelt, sind die TRIZ-Prinzipien auf technische Widersprüche ausgelegt. Was macht man mit TRIZ, wenn es gar nicht um technische Lösungen geht, sondern um Innovationen im Consumer-Bereich, bei denen es eher um Psychologie geht: Emotionen, Status, Lebensgefühl, Identifikation mit der Marke, Bedürfnisse, Kaufmotive etc.?
Mit den Prinzipien kann man durchaus etwas anfangen – z.B. könnte man fragen, was denn „Vonselbst“ oder „Vorspannung“ bei einer Dienstleistung bedeuten könnte. Hier geht es dann aber mehr um funktionale Verbesserungen. Prinzipien, die eher psychologische Probleme lösen, gibt es bei TRIZ nicht. Es gibt aber auch keine Patentschriften für psychologische Ideen, aus denen man solche Prinzipien ableiten könnte. Es ist aber möglich, bei jeder Aufgabenstellung aus der vorherigen psychologischen Analyse der Bedürfnisse, Motive, Wünsche etc. Prinzipien zu generieren. Man leitet aus der Analyse ab, welche Anforderungen die Innovation erfüllen sollte, z.B. könnte man für die Anforderung, ein langweiliges Produkt spannender zu machen, das Prinzip „Dramatisieren“ erfinden.
So gut wie nichts kann man jedoch mit der Widerspruchsmatrix anfangen, da sie nur technisch-naturwissenschaftliche Widersprüche berücksichtigt. Darüber hinaus muss bei psychologischen Bedürfnissen oder Kaufmotiven ein Widerspruch auch nicht unbedingt ein Problem sein. Es kann ein Produkt auch gerade interessant machen, wenn es hilft, psychologische Widersprüche nicht zu lösen, sondern zu pflegen. Beispiel: Eigentlich will man nicht viel Aufwand beim Kochen betreiben, möchte aber gleichzeitig das eigene Selbstbild aufrechterhalten, dass man sich Mühe gegeben hat, und kauft daher ein Kochhilfeprodukt, das diese unentschiedene Haltung unterstützt.
Was kann man aus TRIZ für nicht-technische Erfindungen übernehmen?
Man kann sich für die Entwicklung von Innovationen im Consumer-Bereich vor allem das raffinierte Grund-Mindset von TRIZ zu Eigen machen. Unsere eigene Forschungs- und Innovations-Methode InsightArt beruht auf diesem Grund-Mindset:
- Psychologische Forschung und Analyse zum Finden des genauen Knackpunktes, also Bedürfnisse, Motive, Wünsche, Ängste, Barrieren etc. der Konsument*innen
- Ermittlung des psychologischen Codes, d.h. des übergeordneten Grundproblems (kann ein Widerspruch sein, muss aber nicht) und/oder eines Grundversprechens (vielleicht muss ja das neue Produkt gar kein Problem lösen, sondern einen Wunsch bedienen)
- Aus dem psychologischen Code kann man konkretere Anforderungen ableiten, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die konkreten Wünsche, Barrieren etc. für verschiedene Zielgruppen differenzieren können
- Formulierung eines idealen Endresultats als klare, aber gleichzeitig möglichst offene kreative Aufgabenstellung, analog zu: Die Wäsche IST sauber
- Um das Suchfeld nach Ideen einzugrenzen – als Ersatz für die Selektion, die bei TRIZ von der Widerspruchsmatrix geleistet wird – kann man z.B. vorab eingrenzend festlegen, ob die Innovation nur das Bestehende verbessern soll, oder etwas völlig Neuartiges für eine bisherige Nicht-Nutzer*innen Zielgruppe werden soll, z.B. Kleider für Männer. Für dieses Eingrenzen bietet die Methode InsightArt sieben Ideenschlüssel
Welche Vorteile hat TRIZ?
Die Vorteile eines Vorgehens in Anlehnung an die Erfindungsmethode TRIZ ergeben sich aus der klaren Systematik, die gleichzeitig eine hohe Offenheit auch für disruptive Ideen gewährt. Wie beim Beispiel – Die Wäsche IST sauber – deutlich wird, hat man ein klar formuliertes Ziel, das aber gleichzeitig viel offener für Ideen ist, als die Aufgabe: Das neue Waschpulver soll besser sein.
Die hohe Systematik ergibt sich bei TRIZ nicht – wie teils bei anderen Methoden – daraus, dass man die Prozessschritte und ihre Reihenfolge festlegt oder bestimmte Tools abarbeitet – man kann TRIZ mit allen Kreativtechniken kombinieren, wenn man möchte. Systematisch sind hier vor allem die genaue Analyse des Problems, das gelöst werden soll, die Mühe, die man darauf verwendet, das ideale Endresultat, also das Ziel zu bestimmen und das Arbeiten mit abstrakt formulierten Prinzipien, die eine hervorragende Inspirationsquelle auch für sehr ungewöhnliche Ideen sind.
Bei Innovationsprozessen zur Entwicklung neuer Angebote im Consumer-Bereich lässt sich TRIZ nicht eins zu eins anwenden. Man kann jedoch das Grund-Mindset nutzen und damit die Vorteile von TRIZ: das Lösen des Widerspruchs von zielorientierter Systematik und freier, offener Kreativität.