Was ist dran am Mythos: Viele Ideen sammeln führt zu guten Ideen
Eine Empfehlung im Ideenentwicklungsprozesses heißt oft: möglichst viele Ideen sammeln und später aus der großen Menge die besten auswählen. Es wird oft mit einem Goldsuch-Prozess verglichen. Man schöpft eine große Menge Sand aus dem Fluss, um dann das Gold daraus auszusieben. Je mehr Sand man schöpft, desto größer auch die Ausbeute an Gold.
Stimmt das?
Richtig ist, dass in jedem Kreativprozess mehr Ideen entwickelt werden, als dann umgesetzt werden. Auch Berufskreative, z.B. Künstler*innen oder Erfinder*innen haben in ihren Skizzen- oder Ideenbüchern meistens viel mehr Ideen stehen, als sie dann verwirklichen. Dennoch ist das Bild vom Goldschöpfen zu kurz gedacht und die Regel – je mehr Sand, desto größer die Ausbeute – zweifelhaft.
Der „eine Idee“- Fall
Es gibt viele Legenden über die Entstehung von berühmten Ideen. Gemeinsam haben sie oft, dass sie nicht aus einer Quantität an Ideen ausgewählt wurden, sondern einzelne Ideen sind. Dem Erfinder des Klettverschlusses, Georges de Mestral, soll z.B. bei einem Spaziergang mit seinem Hund aufgefallen sein, wie sich Kletten in dessen Fell verfingen mit der Folge: Eine Idee. Ebenso Alexander Fleming, der das Penicillin erfand, indem er es zufällig entdeckte.
Der „Versuch- und Irrtums“- Fall
Bei der gezielten Ideenentwicklung – Lösung eines technischen Problems oder Design-Entwürfe – braucht es oft viele Versuche, die sich bei näherer Überlegung / Betrachtung oder beim Testen als Irrtum erweisen, bevor man dann eine gute Idee hat. Um beim Goldsuch-Beispiel zu bleiben, wird hier aber nicht möglichst viel Sand ausgewaschen, um eine hohe Ausbeute zu erhalten, sondern es gleicht eher einer Fahndung nach dem erfolgversprechendsten Goldsuchgebiet, also dem Fluss und der Stelle im Fluss mit dem größten Goldgehalt. Dabei kann man auch mehrere einträgliche Gebiete finden, aber hat auch immer viele Fehlversuche.
Der „Inspirations“- Fall
Die Erfahrung lehrt Kreative, dass oft auch weniger gute Ideen zu guten führen können. Daher hält man bei der Ideenentwicklung auch solche Ideen fest, die keinen besonders guten Eindruck machen. Es können Ideen sein, die in eine richtige Richtung zeigen, aber die noch nicht stimmig sind. Während der weiteren Ideenentwicklung oder beim späteren Lesen der Ideenliste kann es vorkommen, dass solch mäßige Ideen inspirierende Auslöser für gute, stimmige Ideen sind.
Der „Loslösungs“- Fall
Je mehr man sich vom Vorhandenen löst, bzw. das Bestehende auflöst, desto ungewöhnlicher und neuartiger können Ideen sein. Manchmal hat man spontan eine ungewöhnliche Idee – dann haben wir den „eine Idee“- Fall. Oft braucht aber das Lösen einen längeren Prozess, in dem man erst die naheliegenden Ideen notiert / skizziert, um dann zunehmend gezwungen zu sein, vom Naheliegenden abzuweichen für weitere Ideen. Es macht Sinn, den kreativen Flow auszuschöpfen und viele Ideen ununterbrochen fließen zu lassen. Dabei entstehen auch mäßige und sehr abwegige Ideen, die aber wieder zur Inspiration von guten taugen können.
Der „Weiterentwicklungs“- Fall
Manche „große“ Ideen entstehen aus vielen „kleinen“ und unscheinbaren Ideen. Daher lohnt es auch immer, diese „kleinen“ Ideen festzuhalten. Oft wird sich auch aus vielen „kleinen“ Ideen über einen langen Entwicklungszeitraum eine „große“ Idee weiterentwickeln. Die Fotografie fing schon zu Zeiten Aristoteles mit der Entdeckung an, dass ein umgekehrtes Abbild erzeugt wird, wenn Licht durch ein kleines Loch in einen dunklen Raum fällt. Es folgten viele weitere Erfindungen: Linse, lichtempfindliche Beschichtung, Blitzlicht etc. bis zur ausgereiften Kamera.
Fazit
Es gibt mehrere Gründe, die dazu führen, dass es immer ein Mehr an gesammelten Ideen gibt, als realisiert werden. Das kann den Eindruck erwecken, dass das Entwickeln einer großen Menge an Ideen eine Ursache dafür ist, dass sich die Chance für gute Ideen erhöht. Dabei handelt es sich aber um eine Schein-Kausalität. Die Chance, in 100 Ideen 3 gute zu finden, ist im Prinzip nicht größer, als in 10 Ideen 3 gute zu finden.
Es verhält sich eher anders herum: die zielführende Vorgehensweise im Ideenentwicklungsprozess ist die Ursache dafür, dass oft viele Ideen entstehen können, aber nicht zwangsläufig müssen. Aus der Betrachtung der Fälle lassen sich aber zwei neue Regeln ableiten:
Man sollte auch „schlechte“ und „kleine“ Ideen würdigen
Ideenentwicklung ist kein Ideensammeln, sondern eine Auseinandersetzung mit dem Ziel, bei der Abwege, Umwege und Versuch und Irrtum dazu gehören.