Fallstricke von Co- und Crowd-Creation

Lese­zeit: 3 Minu­ten

Co-Crea­tion und Crowd­sour­cing ver­spre­chen eine Abkür­zung, um zu nut­zer­ori­en­tier­ten Ideen zu kom­men, haben aber einige Fallstricke.

Wie kommt man am schnells­ten zu nut­zer­ori­en­tier­ten Ideen? Man fragt die Nutzer*innen bzw. Konsument*innen ein­fach direkt nach ihren Ideen oder ent­wi­ckelt sie mit ihnen gemein­sam. Ideen, die von den Nutzer*innen selbst erdacht wer­den, müs­sen doch auch zwangs­läu­fig wel­che sein, die sie dann auch begeis­tert kau­fen. Klingt logisch, ist aber lei­der nicht ganz so logisch wie es klingt.

Zunächst ist es natür­lich rich­tig, dass man Inno­va­tio­nen, wenn sie auch erfolg­reich sein sol­len, nicht an den Men­schen, die sie kau­fen sol­len, vor­bei ent­wi­ckeln sollte. Die Nutzer*innen kön­nen eine wert­volle Quelle für Ideen sein, die man auch nut­zen kann. Vor allem, wenn es um Ver­bes­se­rungs­ideen geht, wis­sen oft die Nutzer*innen, die täg­lich mit dem Pro­dukt umge­hen, am bes­ten, was daran noch sub­op­ti­mal ist. Das kann man über Co-Crea­tion oder auch Crowd-Sourcing her­aus­fin­den. Dabei ist aber auch zu beden­ken, dass spe­zi­ell Crowd-Sourcing nicht sehr effi­zi­ent ist. Crowd-Sourcing lebt – wie der Name schon sagt – von der Menge. Wenn es gut läuft, hat man jede Menge Input, der dann erst ein­mal aus­ge­wer­tet wer­den muss. 

Wenn es sich um psy­cho­lo­gisch rele­vante Inno­va­tio­nen han­delt, oder um dis­rup­tive, also beson­ders revo­lu­tio­näre Neu­ent­wick­lun­gen, dann sind Konsument*innen nicht unbe­dingt die bes­ten Ideengeber.

Psy­cho­lo­gisch rele­vante Ideen
Bei psy­cho­lo­gisch rele­van­ten Ideen han­delt es sich um sol­che, die tech­nisch gar nicht unbe­dingt so beson­ders modern oder aus­ge­feilt sein müs­sen, aber dem Nut­zer psy­cho­lo­gisch etwas zumu­ten. Die Zumu­tung kann auf zwei Ebe­nen der Fall sein. 

  1. Manch­mal: Zumu­tung durch pein­li­che Pro­bleme: 
    Es geht um die Lösung von Pro­ble­men im Bereich pein­li­cher Wün­sche. Die Ein­lei­tung der Co-Crea­tion-Gruppe könnte dann so aus­se­hen: „Heute möch­ten wir mit Ihnen über Erek­ti­ons­pro­bleme spre­chen“ oder wahl­weise über „Inkon­ti­nenz“, oder „Ihr Ver­sa­gen, warum Sie es nicht zu einem schi­cken Eigen­heim gebracht haben“ … 
  2. Häu­fi­ger: Zumu­tung durch eine gefor­derte Ver­hal­tens- und Gewohn­heits­än­de­rung: 
    Jeder kennt das ver­mut­lich im Bereich Soft­ware: Eine neue tolle Pro­gramm­ver­sion mit neuen tol­len fea­tures. Sie wäre jeden­falls toll, wenn man sich in der neuen Ver­sion noch zurecht­fin­den würde, und dann heißt es „rtfm“ (read the fuck­ing manual). Gewohn­hei­ten sind sehr nütz­lich. Sie beschleu­ni­gen Pro­zesse und ver­mei­den Feh­ler. Man kann es den Men­schen daher auch nicht zum Vor­wurf machen, wenn sie auf ihre Gewohn­hei­ten Wert legen.

Ideen, die spä­ter fas­zi­nie­ren, kön­nen anfangs auch beängs­ti­gen oder über­for­dern und wer­den daher zunächst abge­lehnt. Die psy­cho­lo­gi­schen Motive für Kauf und Ver­wen­dung eines Pro­duk­tes sind den Konsument*innen zudem größ­ten­teils nicht bewusst. Sie kön­nen daher auch keine Ideen bezo­gen auf ihre psy­cho­lo­gi­schen Motive ent­wi­ckeln. Zum zurück­hal­ten­den Ver­hal­ten in einem Co-Crea­tion Pro­zess trägt auch erschwe­rend bei, dass die Teilnehmer*innen sich nicht in einem ver­trau­ten Team befin­den und bei unge­wöhn­li­chen Ideen Angst haben, sich zu bla­mie­ren oder bloßzustellen.

Dis­rup­tive Ideen
Sind die Konsument*innen mit dem Bestehen­den zufrie­den, fehlt ihnen schon die Moti­va­tion, über Ideen nach­zu­den­ken. Es sind auch nicht die Konsument*innen, die unter Inno­va­ti­ons­druck ste­hen, son­dern das Unter­neh­men. Ein hohes Enga­ge­ment der Konsument*innen bei der Ideen­ent­wick­lung kann man daher nicht immer vor­aus­set­zen. Nicht sel­ten wird in Co-Crea­tion-Grup­pen von Teil­neh­mern die Frage gestellt, warum sie denn für lau für das Unter­neh­men Ideen ent­wi­ckeln sollen.

Ideen ent­ste­hen oft auf der Basis einer lan­gen und inten­si­ven Beschäf­ti­gung mit einem Thema und brau­chen lange für die Ent­wick­lung. Die Konsument*innen beschäf­ti­gen sich nur kurz und ober­fläch­lich damit. Sie sind auch i.d.R. keine krea­ti­ven Pro­fis, die im Den­ken unge­wöhn­li­cher Mög­lich­kei­ten geübt sind. Vor­stel­lungs­ver­mö­gen und lei­den­schaft­li­ches Inter­esse am Thema kön­nen eben­falls nicht vor­aus­ge­setzt werden

Sog. „Leaduser*innen“ sind zwar ggf. infor­mier­ter und enga­gier­ter. Sie sind aber nicht reprä­sen­ta­tiv für die Masse der Konsument*innen. Hat man krea­tive Konsument*innen in der Gruppe (z.B. aus krea­ti­ven Beru­fen), pro­fi­lie­ren sie sich ggf. mit beson­ders pfif­fi­gen oder wit­zi­gen Ideen, die dann jedoch nichts mehr mit ihrer Rolle als Konsument*innen zu tun haben.

Crowd­sour­cing

Der Vor­teil beim Crowd-Sourcing, das oft auf Inter­net­platt­for­men durch­ge­führt wird, ist, dass man Zugriff auf eine große Menge an Ideenentwicklern*innen hat. Das kann die Chance erhö­hen, viele ver­schie­dene Ideen zu erhal­ten. Quan­ti­tät ist aber nicht gleich Qua­li­tät. Nur weil mehr Ideengeber*innen teil­neh­men, müs­sen die Ideen nicht viel­fäl­ti­ger sein. 

Die Anony­mi­tät ist ein Vor­teil, weil die Teilnehmer*innen sich auch trauen, unge­wöh­li­che Ideen bei­zu­steu­ern. Man weiß hier aber noch weni­ger, ob sich die Teilnehmer*innen inten­siv mit dem Thema beschäf­tigt haben. Ob die Ideengeber*innen ihre Ideen ernst mei­nen, dem Unter­neh­men mit absicht­lich schlech­ten Ideen viel­leicht sogar scha­den wol­len oder sie sich nur einen Spaß machen, ist eben­falls frag­lich. Dafür gibt es sogar einen Begriff: Crowds­lap­ping. Ein Bei­spiel dafür ist das Crowd-Sourcing-Deba­kel um „Pril Brat­hähn­chen“ (ein­fach mal danach googlen).

Lässt man die Ideen auch direkt per Voting bewer­ten und lobt noch einen Preis aus, besteht die Gefahr, dass die Teilnehmer*innen mit ihren Ideen gewin­nen, die die meis­ten Face­book-Freunde zum Voting mobi­li­sie­ren konn­ten. Das müs­sen aber nicht unbe­dingt die bes­ten Ideen sein.

Kon­klu­sion

Co-Crea­tion kann sehr gut als pro­jek­ti­ves Ver­fah­ren ein­ge­setzt wer­den, denn aus den Ideen der Konsument*innen las­sen sich in der psy­cho­lo­gi­schen Ana­lyse oft die Bedürf­nisse aus­fin­dig machen, die hin­ter den Ideen ste­cken. Als Vor­be­rei­tung auf Inno­va­tions-Work­shops mit Mitarbeiter*innen kann Co-Crea­tion sehr hilf­reich sein, um die krea­ti­ven Fra­ge­stel­lun­gen für die Ideen­ent­wick­lung nut­zer­ori­en­tier­ter zu for­mu­lie­ren. Auch für Ver­bes­se­rungs­ideen von bereits vor­han­de­nen Ange­bo­ten funk­tio­niert es gut.

Es ersetzt jedoch nicht die sys­te­ma­ti­sche Ideen­ent­wick­lung durch die Mitarbeiter*innen des Unter­neh­mens, zumal es ja auch noch andere Grund­la­gen braucht, um pas­sende Ideen für eine Marke zu ent­wi­ckeln. Dazu gehört z.B. die stra­te­gi­sche Aus­rich­tung, die man als Unter­neh­men anstrebt und die Frage, ob Ideen posi­tiv auf das Mar­ken­image einzahlen.

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