Ich bin viele

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Wie erstellt man eine Per­sona für die Ideen­ent­wick­lung – Tipps und Tricks

Janine ist 24 Jahre alt, wohnt bei ihrer Mut­ter und macht eine Aus­bil­dung zur Indus­trie­kauf­frau. Wir wis­sen noch viel mehr über Janine, wie sie denkt, fühlt, wofür sie sich inter­es­siert, was sie auf­regt, was sie für Pläne hat. Janine gibt es nicht. Janine ist eine Persona.

Sze­nen­wech­sel: Der Work­shop dau­ert nun schon zwei Tage. 12 Redak­teure arbei­ten daran, ein neues Ange­bot für Janine zu ent­wi­ckeln. Alle Redak­teure hei­ßen Janine. Nicht nur die Frauen, auch die Män­ner. Also nicht wirk­lich, aber sie spre­chen sich alle stän­dig mit Janine an. Was ist da los?

Per­so­nas sind im Mar­ke­ting zu Recht beliebt. Sie sind sehr hilf­reich, wenn es darum geht, Ange­bote, Pro­dukte oder Kom­mu­ni­ka­tion für bestimmte Ziel­grup­pen zu ent­wi­ckeln. Es fällt deut­lich leich­ter, Ideen für rich­tige Men­schen (oder was sich danach anfühlt) zu fin­den, als für eine abs­trakte Zielgruppe.

Dabei haben Per­so­nas nicht mehr viel gemein mit dem, was der Begriff ursprüng­lich bedeu­tet. Schon in der Antike war die Per­sona die Maske des Schau­spie­lers, das nach außen gezeigte Gesicht. Die­ses Ver­ständ­nis steckt auch im Kon­zept der Per­sona nach C.G. Jung. Für ihn war sie das, als „was einer erscheint“. In Mar­ke­ting und Krea­tiv­ent­wick­lung baut man hin­ge­gen kom­plette Per­sön­lich­kei­ten. Sie müs­sen leben­dig wir­ken, authen­tisch, glaub­wür­dig, facet­ten­reich, tiefe Ein­bli­cke in ihr Inne­res geben, ihre Träume und Ängste, ihre „gains and pains“ offen­ba­ren, als wären sie die bes­ten Freunde.

Dabei ver­dich­ten sich in der Per­sona alle qua­li­ta­ti­ven und quan­ti­ta­ti­ven Daten, die man aus der For­schung über die Ziel­gruppe in Erfah­rung brin­gen konnte. Sie ist zwar eine fik­tive aber keine frei erfun­dene Per­son. Sie ver­kör­pert ein bestimm­tes Kun­den­seg­ment. Dar­aus ergibt sich auch die Her­aus­for­de­rung bei der Erstel­lung von Per­so­nas. Die­ser Pro­zess spielt sich in einem grund­le­gen­den Span­nungs­ver­hält­nis ab. Eine gute Per­sona ist die best­mög­li­che Ver­mitt­lung zwi­schen den Polen die­ser Spannung:

Die Per­sona ist eine Per­son
Die Per­sona soll einer­seits wie ein rea­ler Mensch daher­kom­men: Ein Uni­kum, das es so kein zwei­tes Mal gibt, mit ganz indi­vi­du­el­len Macken. Nur dann wirkt sie leben­dig, authen­tisch und „echt“. Sie erhält dafür ganz kon­krete Eigen­ar­ten, Inter­es­sen, Akti­vi­tä­ten, Erfah­run­gen, ein sozia­les Umfeld etc. 

Die Per­sona ist eine Ziel­gruppe
Ande­rer­seits soll die Per­sona die rele­van­ten Merk­male der Ziel­gruppe typi­sie­ren, also typisch für eine ganze Kun­den-Gruppe sein. Sie darf daher trotz aller Kon­kre­ti­sie­rung und Ver­eindeu­ti­gung nicht zu sehr ein­schrän­ken bei der Ideen-Ent­wick­lung. „Aber Janine ernährt sich doch ver­gan“ – Ja, aber das gilt eben nicht für alle in der Ziel­gruppe. In ihrer Per­sön­lich­keit soll­ten mög­lichst viele Facet­ten der Ziel­gruppe, für die sie steht, unter­ge­bracht sein. 

Ein Trick, dies zu lösen, kann darin bestehen, zwei sehr ver­schie­dene Per­so­nas für die glei­che Ziel­gruppe oder den glei­chen Typus zu ent­wi­ckeln. Im oben genann­ten Work­shop gab es des­halb neben Janine auch noch Alex. Im Kern der glei­che Typus, aber in sei­nen kon­kre­ten Akti­vi­tä­ten und Vor­lie­ben ganz anders.

Tipps und Tricks
Es ist keine ein­fa­che Auf­gabe, in die­ser Span­nung gut zu ver­mit­teln. Hun­dert­pro­zen­tig wird – und kann – das auch nicht gelin­gen. Dafür ein paar grund­le­gende Tipps aus unse­rer Praxis:

  1. Empi­rie
    Immer an der empi­ri­schen Grund­lage ori­en­tie­ren, idea­ler­weise gehen quan­ti­ta­tive und qua­li­ta­tive Daten ein – ohne qua­li­ta­tiv-psy­cho­lo­gi­sche Insights geht es aber i.d.R. nicht, dann bleibt die Per­sona zu oberflächlich.
  2. Details
    Die Per­sona „saf­tig“ machen: Anrei­chern mit ganz kon­kre­ten Details aus ihrem Leben. Es reicht nicht, dass man ihren Namen kennt, dass sie zwei Kin­der und einen Hund hat und gerne Schuhe kauft. Sie brau­chen den tie­fen Blick in ihre Seele. Dabei nie die empi­ri­sche Grund­lage (Tipp 1) vergessen.
  3. Stim­mig­keit
    Eine glaub­wür­dige Per­sona macht einen ins­ge­samt stim­mi­gen Ein­druck. Sie ist eine „Gestalt“. Ihr Auf­tre­ten, Ver­hal­ten, ihr sozia­les Umfeld, ihre Bio­gra­fie, ihre Hal­tun­gen und Ein­stel­lun­gen, selbst ihre Kon­flikte und Wider­sprü­che fügen sich zu einem Ganzen.
  4. Kom­pakt
    Nicht zu aus­ufernd wer­den. Sie wol­len schließ­lich spä­ter damit noch arbei­ten kön­nen. Faust­re­gel: Eine Seite, oder ein Poster.
  5. Reale Per­son als Grund­lage
    Es kann u.U. hilf­reich sein, eine reale Per­son z.B. aus Tie­fen­in­ter­views als Grund­lage zu neh­men, um schon ein­mal eine stim­mige, glaub­hafte Grund­lage zu haben. Diese dann ergän­zen und anrei­chern mit Merk­ma­len aus ande­ren Interviews.
  6. Bil­der
    Sie wol­len sich ein Bild der Per­sona machen, also ver­wen­den Sie eines. In Bild­da­ten­ban­ken fin­det man genug freie Portrait-Fotos. 
  7. Schwa­che Bil­der
    Wich­tig bei der Aus­wahl des Por­traits: Nicht zu spe­zi­ell, bes­ser ein „schwa­ches“, d.h. aus­leg­ba­res Bild. Also keine Per­son mit Iro­ke­sen­schnitt. Das legt schon zu sehr auf einen bestimm­ten Asso­zia­ti­ons­raum fest. Es sei denn, die Ziel­gruppe sind Punks.
  8. Col­lage
    Ergän­zend kön­nen auch Fotos oder Illus­tra­tio­nen aus dem Umfeld der Per­sona auf einer gro­ßen Col­lage zusam­men­ge­stellt und als Pos­ter aus­ge­druckt im Work­shop-Raum auf­ge­hängt werden. 
  9. Lie­ber mehr
    Ent­wi­ckeln Sie lie­ber zwei oder drei Per­so­nas, und „quet­schen“ Sie nicht zuviele Merk­male in eine.
  10. Sto­rytel­ling
    Wenn Sie z.B. ein Pos­ter zur Per­sona ent­wi­ckelt haben: Hal­ten Sie zusätz­lich noch einen erzäh­le­ri­schen Text bereit. Den kön­nen Sie den Teil­neh­mern im Vor­feld als Haus­auf­gabe mit­ge­ben, so dass diese sich schon ein­mal ima­gi­na­tiv ein­füh­len kön­nen — oder Sie lesen den Text als Mode­ra­tor in Häpp­chen im Ver­lauf des Work­shops vor, um der Ideen­ent­wi­ckung neuen Stoff zu geben.

Und zuletzt: Wenn alle kon­se­quent den Namen der Per­sona anneh­men und sich gegen­sei­tig alle z.B. mit Janine anspre­chen, ver­liert man die Per­sona und damit die rele­vante Ziel­gruppe bei der Ideen­ent­wick­lung nicht mehr so schnell aus den Augen. Da macht dann der ursprüng­li­che Begriff der Per­sona als Maske auch wie­der Sinn.

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