Ideenentwicklung funktioniert oft besser, wenn man sich vorher erstmal ein bisschen locker macht, bevor man ernsthafte — also brauchbare und realisierbare — Ideen entwickelt. Dafür kann man kreative Aufwärm-Übungen nutzen. Eine solche Übung, die ich „Papalagi“ (PapalaNgi ausgesprochen) genannt habe, wird im Folgenden vorgestellt.
Das Buch „Der Papalagi, die Reden des Südseehäuptlings Tuiavii aus Tiavea“ des deutschen Malers und Schriftstellers Erich Scheurmann von 1920 beruht zwar auf reiner Erfindung. Es könnte aber wahr sein. Ein Südseehäuptling hat Europa besucht und beschreibt nach seiner Rückkehr seinem Volk, wie ein Europäer (Papalagi) lebt. Er beschreibt es aus der Sicht eines Südseebewohners, der einiges in Europa als merkwürdig bis irritierend empfand. So wohnt z.B. der Papalagi in steinernen Truhen mit eckigen Löchern darin, und wenn er durch das große Loch hinein geht, nennt er es „Eingang“, geht er hinaus, heisst das gleiche eckige Loch aber „Ausgang“ etc. Der Papalagi ist schon ein seltsames Wesen! …
Die Welt mit einem fremden Blick betrachten
Diese lesenswerte Geschichte ist ein tolles Beispiel dafür, wie die Welt, die wir für selbstverständlich halten, aus einem fremden Blick heraus sehr merkwürdig wirken kann. Der fremde Blick auf etwas Gewöhnliches ist eine der besten Voraussetzungen für kreative Ideen, denn er erlaubt, das Gewohnte zu hinterfragen und dadurch auch auf ungewöhnliche Ideen zu kommen. Die Technik macht sich zunutze, dass Menschen Seltsames und Ungewohntes gerne verstehen möchten, und daher die Bereitschaft, sich für ein neues Verständnis jenseits eigener Klischees zu öffnen, größer ist, als wenn alles gewohnt normal erscheint. Es handelt sich hier auch um eine Form der schöpferischen Zerstörung.
Bei der Papalagi-Technik übt man diesen fremden Blick ein, ohne dass dabei schon konkrete Ideen für eine konkrete Aufgabenstellung entstehen sollen. Man kann diese Übung zu einem späteren Zeitpunkt aber abwandeln, indem man sich in die Zielgruppe hineinversetzt, für die Ideen entwickelt werden. Hier ist es hilfreich, die Motive, Bedürfnisse und Eigenschaften der Zielgruppe zu übertreiben, damit der fremde Blick auch fremd genug ist.
Beim Stellen der konkreten Aufgaben sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt
Diese Übung kann man mit ganz verschiedenen Aufgaben durchführen, was allerdings Kreativität beim Aufgabensteller voraussetzt. Um Beispiele zu geben, in welche Richtungen die Aufgaben gehen können, werden im Folgenden einige aufgelistet, die bereits praxiserprobt sind:
👉 Stellen Sie sich vor, dieser Drucker ist gar kein Drucker, sondern eine Zeitmaschine. Erklären Sie die Zeitmaschine und was sie alles kann.
👉 Machen Sie eine kleine Exkursion in den nächsten Supermarkt und stellen Sie sich vor, es wäre eine moderne Kunstausstellung. Beschreiben Sie die Exponate und erklären Sie, was der Künstler sich dabei gedacht hat.
👉 Dieser Raum (i.d.R. ein Workshop-Raum) wurde von Archäologen erst vor kurzem entdeckt. Es handelt sich um eine Kultstätte einer vergangenen Kultur. Erklären Sie anhand des Raums und der Möbel und Gegenstände im Raum, wie eine kulturelle Zeremonie hier durchgeführt wurde und welchen Sinn sie hatte.
👉 In Ihrer Kleingruppe befindet sich ein Außerirdischer, der sich als Mensch getarnt hat. Wählen Sie jemanden aus Ihrer Mitte und beschreiben Sie, woran man ihn trotzdem erkennt, was seine Aufgabe bei seiner Erdenmission ist etc.
👉 Sie schlafen kurz ein, und wenn Sie wieder aufwachen, stellen Sie fest, dass Sie jetzt der Stuhl sind, auf dem Sie zuvor saßen. Wie fühlt es sich an, ein Stuhl zu sein? Was mögen Sie, was nicht? Über was denken Sie den ganzen Tag nach, und wie ist Ihr Leben als Stuhl und Ihre Pläne für die Zukunft?
Wie geht man bei der Technik vor?
Man darf gerne am Anfang den Teilnehmenden erklären, welchen Sinn diese Übung hat und dass sie versuchen sollen, sich möglichst gut in ihre Rolle zu versetzen bzw. Dinge als etwas anderes zu sehen. Gut ist es, diese Aufgabe in kleinen Teams zu bearbeiten, weil sich die Teammitglieder dann oft in ihrer Fantasie gegenseitig anstacheln, was es für alle leichter macht, sich imaginativ in diesen fremden Blick hineinzuversetzen. Man sollte den Teams auch mindestens eine halbe Stunde Zeit geben. Hilfreich ist auch, wenn die Gruppen die Aufgabe haben, das Ganze wie eine Reise zu dokumentieren, am besten auch mit Skizzen oder Fotos.
Die Übung ist auch deshalb zum Aufwärmen sehr gut geeignet, weil sie sehr viel Spaß macht, den ein oder anderen Lacher bringt und das den Teilnehmenden für die weitere konstruktive Zusammenarbeit ein positives Gefühl gibt. Man sollte sich dann auch die Zeit nehmen, die Mühe, die sich die Teams mit der Aufgabe gemacht haben, zu würdigen, indem jede Kleingruppe ihre Ergebnisse den anderen vorstellt. Das bewirkt auch eine gute Stimmung im Gesamtteam. Gleichzeitig gelingt es mit solchen Aufwärm-Übungen gut, die Teilnehmenden in einen spielerischen Modus mit aufgelockertem Denken zu bringen, was der weiteren Ideenentwicklung sehr zuträglich ist.